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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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"subversiven Geist" auszutreiben - eine Art "geistiger Selbstreinigung", die den<br />

Teufelsaustreibungen religiöser Fanatiker ähnelt.<br />

Der Folterer suggeriert seinem Opfer, er, der Folterer sei eine "magische Gestalt" mit<br />

übernatürlichen Kräften. Nach stundenlangen Verhören mit Peitschenhieben und Elektroschocks<br />

unterbrochen, wird der Gedemütigte auf eine Eisenpritsche gelegt und gefesselt. Der Raum wird<br />

abgedunkelt. Jetzt beginnt der zweite Teil, Hypnose. Aus Lautsprechern, die im Verhörzimmer<br />

dafür installiert worden sind, ertönt in Intervallen rhythmische Soulmusik oder expressive Passagen<br />

aus der Fünften und der Neunte Symphonie von Beethoven. Im Stil eines Exorzisten macht sich<br />

der Scherge an die Arbeit. Er versetzt sein Gegenüber in einen Trancezustand. Darin soll das Opfer<br />

seine Schuld bekennen, mit Kommunisten und anderen Oppositionellen zusammenzuarbeiten und<br />

Namen sowie Adressen sogenannter Staatsfeinde verraten. Wenn diese Methode nichts hilft,<br />

werden wieder 120-Volt-Stromstöße durch den Körper gejagt, und nach einer Pause beginnt die<br />

Hypnose von vorn.<br />

Folterer leben in einer Wunschwelt, in der sie negative Reizwörter, die sie an Brutalität<br />

und Sadismus erinnern müssten, zu positiven Begriffen ummünzen. Die "Villa Grimaldi" heißt für<br />

die chilenischen Menschenquäler "Villa des Gelächters" (Palacio de la Risa). Und in Persien, wo an<br />

die 100.000 politische Gefangene die Haftanstalten füllen, werden blutverschmierte Folterkammern<br />

"Marschierer-Zimmer" genannt. Denn nach den Tortouren müssen die Geschundenen in der Zelle<br />

auf und ab gehen. Die Gefängnisärzte befürchten, ihre total erschöpften "Patienten" könnten an<br />

einem Kreislaufkollaps sterben, wenn sie sich nicht bewegen.<br />

Spitznamen sollen die wahre Identität der Folterknechte verbergen, die die meisten von<br />

ihnen nicht preisgeben wollen. "Der Lange" oder "Der Schnauzbart" spielen auf ihr Äußeres, "El<br />

Aleman" (Der Deutsche), "Cara de Culebra" (Schlangengesicht) oder "El Carnicero" (Der<br />

Schlächter) auf Brutalität und Sadismus an.<br />

Folterer waren für Briten Anthony Storr (*1920+2001), einst renommierter Professor für<br />

klinische Psychiatrie in Oxford, Menschen, "die nicht primär boshaft und sadistisch sind". Doch<br />

ihr jahrzehntelanges Kasernenleben - mit Drill, Gehorsam und eingebläuter Ideologie - haben aus<br />

einem durchschnittlichen Welt- ein gefährliches Feindbild entstehen lassen, bei den meisten ein<br />

Schwarz-Weiß-Muster, das nur Gut und Böse zulässt. Nur deshalb konnte sich der griechische Ex-<br />

General Stylianos Pattakos zu der Behauptung hinreißen lassen: "Kommunisten sind Bestien. Wir<br />

machen keinen Unterschied zwischen Menschen und Menschen, nur zwischen Menschen und<br />

Bestien." Der Schauspielerin Melina Mercouri (*1920+1994), die sich seinerzeit im Jahre 1967<br />

entschieden gegen die folternde griechische Militärjunta stellte, entzog Pattakos in seiner<br />

Eigenschaft <strong>als</strong> Innenminister die griechische Staatsbürgerschaft. Melina Mercouri entgegnete: "Ich<br />

wurde <strong>als</strong> Griechin geboren und werde <strong>als</strong> Griechin sterben. Herr Pattakos wurde <strong>als</strong> Faschist<br />

geboren und wird <strong>als</strong> Faschist sterben."<br />

In den meisten Armeen rangiert der Folterer am untersten Ende der Rangskala. Für den<br />

Verhörer ist er ein Lakai, der Informationen herauszuquälen hat. Das vorherrschende<br />

Leistungsprinzip. "welcher meiner Jungs foltert am besten", soll die Qualität des Schrecklichen<br />

garantieren. Das ist ihre Umwelt - ihr Milieu -, in der junge Unteroffiziere die grausame Absurdität,<br />

Andersdenkenden Schmerzen und Demütigungen zuzufügen, <strong>als</strong> alltägliche Banalität empfinden.<br />

Anthony Storr: "Folterer sind hierarchisch denkende Menschen, die Befehle suchen und<br />

akzeptieren. Sie gehorchen, ohne zu fragen." Ihr "Handwerk" ist ein Routine-Job, der harmlosere<br />

Berufe geradezu parodiert" ("Time"). Der amerikanische Missionar Fred Morris ist 17 Tage in der<br />

brasilianischen Hafenstadt Recife gefoltert worden. Er berichtet: "Diese Leute kamen um neun Uhr<br />

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