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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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deshalb, weil das Deutschland in den Grenzen von 1937 meint. Ich gebe diese Hoffnung auf die<br />

Einheit der Nation nicht auf. Dieser Traum wird eines Tages in Erfüllung gehen. Davon bin ich<br />

überzeugt. Und mich bewegt, wie ein Mensch wie Herbert Wehner darum kämpfte, dass die<br />

Substanz der einen Nation nicht verloren ging. Herbert Wehner hat trotz aller Anfeindungen<br />

immer versucht, daran zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass wir verpflichtet sind, uns für<br />

menschliche Erleichterungen für die Millionen von Menschen im anderen Teil unseres Vaterlandes<br />

einzusetzen.<br />

Am 17. Juni 1953 hatte ich meine Neuntklässler mit auf die Straße genommen, um ihnen<br />

zu zeigen, wie es aussieht, wenn Arbeiter etwas wollen. Dass der Aufstand durch russische Panzer<br />

und durch SED-Funktionäre niedergeschlagen wurde - das sitzt bei mir noch heute tief. Das klingt<br />

vielleicht etwas pathetisch. Aber ich denke an die 17 Millionen Menschen, die nie die Chance<br />

hatten, in einer Demokratie zu leben, sondern von der Hitler-Diktatur in eine andere totalitäre<br />

Form hineingepresst wurden. Das kann eigentlich jemand, der in Freiheit aufgewachsen ist, nicht<br />

nachvollziehen, was es heißt, von einem Totalitarismus in den anderen zu kommen. Und auf der<br />

westdeutschen Seite ist diese Kaufmannsgesinnung, die in Wirklichkeit so vieles unerledigt lässt.<br />

Diese auf das Materielle, auf das Habenwollen ausgerichtete Existenzweise eines Großteils der<br />

Bundesdeutschen muss überwunden werden. Was bedeutet schon die viel zitierte Eigenleistung?<br />

Das hieß im Jahre 1945 bei uns ja auch nicht Eigenleistung, sondern Hilfe und Zuweisungen durch<br />

die westlichen Alliierten. Wir sollten - gerade auch die jungen Menschen - mit derlei Begriffen<br />

etwas nachdenklicher umgehen.<br />

Die Menschen in der DDR liegen mir am Herzen. Die zwischenmenschlichen<br />

Beziehungen sind dort von mir Anteilnahme geprägt. Die Nachbarn haben sich noch etwas zu<br />

sagen und helfen sich gegenseitig, und die Familien schieben die Alten nicht einfach ab. Ich sehe<br />

die Menschen dort und bin immer wieder erstaunt, dass sich trotz SED soviel Mitmenschlichkeit<br />

erhält. Wenn es irgendwann in der Zukunft einmal zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten<br />

kommen sollte, dann kann diese Zukunft nicht so aussehen, dass die DDR-Bürger die<br />

Gewohnheiten und Eigenschaften der Menschen hier gänzlich übernehmen. Dort haben die<br />

Frauen schon einen anderen gesellschaftlichen Stellenwert erreicht. Was beispielsweise dort für<br />

junge Mütter getan wird, das ist schon vorbildlich.<br />

Es kam mir nie darauf an, mit großen Politik-Entwürfen auf mich aufmerksam zu machen<br />

oder <strong>als</strong> eine Art Alleinunterhalterin in den Medien aufzutreten. Mein Politikverständnis war<br />

geprägt von den Kontakten mit der Bevölkerung, davon, um die Sorgen der Menschen zu wissen.<br />

Mir war klar, dass ich mit dieser Einstellung kaum einen Blumenstrauß gewinnen würde. Aber diese<br />

Art des Umgangs waren eben meine Art und der Grund, warum ich mich in Bonn abrackert.<br />

Angst: ja, Angst hatte ich in Bonn oft. Obwohl ich nachweislich nicht auf die Schnauze<br />

gefallen bin und nicht mit meiner Meinung zurückhalte. Aber im Plenum des Deutschen<br />

Bundestages, vis-à-vis mit der oft zähne-fletschenden Männer-Meute -da überkam mich schon die<br />

Angst. In solchen Momenten am Rednerpult fühlte ich mich total alleingelassen. Sicherlich steht<br />

jeder dort oben unter besonderer Anspannung und einem gewaltigen Leistungsdruck - zumal bei<br />

Fernsehübertragung. Alles erstarrt in Würde - und doch werden Redner verunglimpft. Das sind oft<br />

reine Schaukämpfe, Hahnenkämpfe - mehr nicht. Damit wird viel Zeit verplempert. In den<br />

seltensten Fällen geht es im Plenarsaal um Erkenntnisse, die für die Meinungsbildung in der<br />

Bevölkerung wichtig sind und kontroverse Diskussionen entfachen. Nur selten werden in den<br />

Reden aus Fakten beurteilungsfähige Zusammenhänge entwickelt. Der Schlagabtausch, die<br />

Zwischenrufe, dieses Ping-Pong-Gehämmere - das alles hat sich mittlerweile verselbstständigt. Ich<br />

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