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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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nächsten Morgen erreichen. Von seinen Kollegen verabschiedete er sich schließlich: "Ich gehe jetzt<br />

und werde wohl erfahren, was sie wollen. Ich habe nichts zu verbergen und nichts zu befürchten."<br />

Am Sonnabendmorgen um 8 Uhr 30 betrat er die Kaserne, am Sonnabendnachmittag um<br />

15 Uhr war er tot. Ein Journalist von der Zeitung "O Estado de Sao Paulo" hatte, <strong>als</strong> er unter<br />

Folter nach ihm bekannten Kommunisten befragt wurde, wahllos Namen aus dem Kollegenkreis<br />

genannt, um sich damit ein Ende der Schmerzen zu erkaufen. Herzogs Name war dabei gewesen.<br />

Als der Fernsehmann tot war, mühte sich das Militär, den Mord <strong>als</strong> Selbstmord<br />

darzustellen. Ein Armeefoto wurde veröffentlicht, das den Journalisten aufgeknüpft mit seiner<br />

Krawatte am Gitter der Zelle zeigte. Eine Obduktion der Leiche wurde allerdings nicht zugelassen.<br />

Die jüdische Gemeinde zögerte, Herzog auf dem jüdischen Zentralfriedhof von Sao Paulo<br />

ehrenvoll zu beerdigen. Daraufhin erklärte der katholische Kardinal Arns, er werde für den toten<br />

Journalisten die Messe lesen. Arns wusste, dass die Selbstmordversion nicht stimmte. Die Ärzte im<br />

Krankenhaus, in dem Herzog aufgebahrt worden war, hatten dem Kardinal genau die Folterspuren<br />

an der Leiche beschrieben.<br />

Außerdem hatte einer der Folterer geplaudert. Er erzählte einer Freundin, einer<br />

Prostituierten, Einzelheiten der Todestortur ("Wir sind besser <strong>als</strong> die Gestapo"). Die Dirne war<br />

erschüttert von dem, was sie da erfuhr. und informierte am nächsten Tag den Kardinal. Als Arns in<br />

seiner Kathedrale im Zentrum von Sao Paulo die Gedenkmesse für den Journalisten Vladimir<br />

Herzog vorbereitete, drohte Staatsgeneral Ernesto Geisel: "Bei Unruhen muss hart durchgegriffen<br />

werden."<br />

An einem Mittwochnachmittag um 15 Uhr sollte die Messe sein. Um 13 Uhr begann die<br />

Polizei die Zufahrtsstraßen zur Innenstadt Fahrzeugkontrollen vorzunehmen. Wagenpapiere<br />

wurden überprüft, Reifen und Beleuchtung kontrolliert. Der Einsatz hieß "Operation Gutenberg".<br />

In wenigen Minuten entstand in der nahezu Zehn-Millionen-Metropole ein solches Verkehrschaos,<br />

dass kein Fahrzeug mehr vorankommen konnte. Die Folge: Von den 30.000 Menschen, die sich<br />

aufgemacht hatten, um am Gottesdienst teilzunehmen, konnten nur 3.000 bis an die Kathedrale<br />

vordringen.<br />

Von der Kanzel herunter machte Arns die Messe zum Tribunal über die Generale: "Es ist<br />

ungesetzlich, bei Vernehmungen von Verdächtigen physische, psychologische oder moralische<br />

Folter anzuwenden. Vor allem, wenn sie soweit getrieben werden, dass Verstümmelungen oder gar<br />

der Tod die Folge sind. Die ihre Hände mit Blut beflecken, werden verdammt."<br />

Als die Messe beendet war, ermahnte der Kardinal seine Zuhörer, Ruhe zu bewahren.<br />

Zugleich gab er ihnen den Rat, nur in Gruppen den Heimweg anzutreten.<br />

Sao Paulo ist zum Zentrum der brasilianischen Opposition geworden. Im Mai 1977<br />

strömten aberm<strong>als</strong> 10.000 Studenten in die Innenstadt, um gegen die Verhaftung von<br />

Kommilitonen und Arbeitern zu protestieren. In einem offenen Brief forderten sie das Ende der<br />

Folterei, eine Generalamnestie und die Wiederherstellung der Demokratie. Die Regierung konterte<br />

mit einem Demonstations-Verbot. Justizminister Falcao : „Das Land braucht Ruhe und Stabilität,<br />

die durch extremistische Aktionen nicht gestört werden dürfen. Demonstrationen jeglicher Art sind<br />

im Grunde und ihrer Absicht nach subversiv.“<br />

In Wirklichkeit steckt Brasilien in einer tiefen Krise – Legitimations-Krise,<br />

Wirtschaftskrise: Die Ausland-Verschuldung hat eine Rekordhöhe von 70 Milliarden Mark<br />

erreicht, kostspielige Investitions-Programme mussten gestrichen werden, auf dem Finanzmarkt<br />

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