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DRANGSAL MIT DER PROSTITUTION<br />

Die einst weltberühmte Bordellkultur früherer Jahrzehnte ist in Frankreich längst<br />

passé. Vielmehr gelten spätestens seit 2003 drakonische Strafgesetze, die Prostitution,<br />

Zuhälterei und Frauenhandel aus fernen Ländern <strong>als</strong> einen Akt "gegen die<br />

Menschenwürde" mit Geldbußen, gar Gefängnis ahnden. Aus dem Straßenbild sind<br />

Liebesdamen ganz verschwunden, nachdem Freier wie Prostituierte wegen des<br />

Straftatbestands des "sexuellen Exhibitionismus" vor Gericht gestellt wurden. Lediglich in<br />

sündhaft teuren "night clubs" großer Städte bieten Frauen - <strong>als</strong> Gäste getarnt - ihre Ware<br />

Sex diskret an. Nur im Untergrund wuchert weiterhin das kriminelle Geschäft mit<br />

"käuflicher Liebe" - nach dem "Ehrenkodex" einer Sekte.<br />

Frankfurter Rundschau 28. Mai 1994<br />

Vor der schmuddeligen kleinen Bar Américan auf dem Boulevard de la Pomme Nummer<br />

35 zu Marseille parken an diesem Wochenende ausnahmslos schnelle Flitzer: Hochkarätige<br />

Limousinen, wohl keine unter 80.000 Euro zu haben. Das will etwas heißen in dieser Hafenstadt, in<br />

der über hunderttausend Menschen unterhalb der Armutsgrenze dahinvegetieren. Erst recht<br />

bedeutet diese Parade von Zuhälter-Karossen etwas zu einer Zeit, in der das angrenzende<br />

Opernviertel, früher einmal Hochburg der Prostitution, vor sich hinzu schlummern scheint -<br />

vordergründig zumindest.<br />

Was die Polizei über all die Jahrzehnte nicht vermochte, schaffte offenkundig die<br />

Immunseuche Aids. Frankreich ist das HIV-Land Nummer eins in Europa. Laut Statistik zählt die<br />

Republik knapp 26.000 Aidskranke, darunter 4.100 Frauen. Wie ausgestorben wirken Bars oder<br />

Spielhöllen.<br />

Friedlich vereint sitzen Marseilles "Macs" (Zuhälter) nun in der an geschmuddelten Bar<br />

auf dem Boulevard de la Pomme. An einem Tisch die arabischen Herren-Repräsentanz mit einem<br />

Glas Pfefferminztee und ihrem Tric-Trac-Spiel. Am anderen Tisch die französischen Luden beim<br />

Pastis samt Karten-Allerlei. Nur ihre hin und her geworfenen Code-Wörter signalisieren, dass die<br />

Prostitution in Frankreich - und damit in ganz Westeuropa - unter einer wohlgeordneten<br />

Oberfläche eine neue Dimension erreicht hat: auch "Sklavinnen-Kartell" genannt. Von der<br />

"Chandelle" (Frau, die auf der Straße steht), über eine "caravelle" (auf dem Flughafen), eine<br />

"entrainneuse" (an der Bar), "Amazone" (am Steuer), über Bestellung von "de la chair fraîche"<br />

(Frischfleisch) bis zur "Serveuse Montante" (im Hotelzimmer) kreist einsilbig jenes<br />

Sprachrepertoire aus ihrer Arbeitswelt.<br />

Noch nie in diesem Jahrhundert schnellte der Frauenhandel derart in Rekordhöhe, noch<br />

nie wurden Tausende von Frauen so international lückenlos durchorganisiert, verschleppt,<br />

geschlagen, misshandelt - <strong>als</strong> Freiwild zur Prostitution abgerichtet. Die Männer verwalten ihre<br />

Frauenstäbe von Amsterdam bis Paris, von Barcelona bis Berlin, von Mailand bis Moskau, von<br />

Frankfurt bis Budapest und lassen die Prostituierten oft im Zehn-Tage-Rhythmus von einer Stadt<br />

in die nächste rotieren. In ihrem Metier funktioniert der europäische Binnenmarkt jedenfalls schon<br />

reibungslos.<br />

Offiziell geben sich die Zuhälter dieser Tage <strong>als</strong> ehrenwerte Besitzer von Bars wie<br />

Nachtklubs aus. Die Wachstumsbranche Ware Frau gebiert Menschenhändler, die sich in ihrem<br />

Anforderungsprofil kaum von dem Einkäufer eines Großunternehmens unterscheiden mögen. Der<br />

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