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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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gebrandmarkt. Hätte er doch nur hier verdeutlicht, dass die Sozialdemokraten im Stil "der Nazis<br />

gegen die, Juden" Kampagnen gegen seine Union entfachen. Hätte der CDU-Gener<strong>als</strong>ekretär doch<br />

nur hier ein "Schlagwort über die neue Armut" in der Bundesrepublik verloren und gesagt, dass<br />

dieses Gerede "der größte Schwindel" sei, "den wir in der Nachkriegszeit erlebt habe".<br />

Hier, in der Landauer Stadthalle, bei den grauen Eminenzen mit Schmissen und ihren<br />

abgerichteten Jungvolk-Korporationen, wäre er mit seiner Betrachtungsweise stets passend<br />

platziert. Dieser enthemmte Geißler hätte ja nicht nur rühmlich "der Wahrheit eine Gasse<br />

geschlagen", <strong>als</strong> bibelfester Katholik hätte er sicherlich auch unmissverständlich zu verstehen<br />

gegeben, wie wichtig ihm das Alte Testament in der Bundespolitik geworden ist: "Auge um Auge,<br />

Zahn um Zahn."<br />

Die rechten Burschen jedenfalls wären mit Karacho auf die Bänke gestiegen; auf ihren<br />

Schultern, mit einem Spielmannszug vorneweg, wäre der Gener<strong>als</strong>ekretär zum Rathausplatz<br />

getragen worden. Und dort hätte er dann seine Visionen von Harmonie, Vaterland und Partei<br />

aufsagen dürfen. "Kauert nicht in den bequemen Ecken des privaten Glücks oder der Resignation,<br />

sondern kommt und arbeitet mit am Aufbau einer freien und gerechteren Welt ... Wenn niemand<br />

mehr Kinder bekommt, hat unser Land keine Zukunft ... Nicht nur Gutes tun, sondern auch<br />

darüber reden". So marschierten die Burschen allein, artig und fromm, auch erst um Mitternacht,<br />

natürlich mit Fackeln und Trommeln, die drei Strophen der Nationalhymne wie selbstverständlich<br />

auf ihren Lippen. Bis zum frühen Morgen hallte das "Deutschland, Deutschland über alles", Bier<br />

verklärt durch Landaus Straßen.<br />

Nein - heute soll sich nach Kautzmanns Drehbuch der Minister a.D. (1982-1985) "in ganz<br />

bescheidener Weise <strong>als</strong> rundum sympathischer, vernünftiger Kerl darstellen". Für solche<br />

Biedermann-Aktionen eignen sich die umliegenden Dörfer. Wenn Heiner Geißler "den Jungen mit<br />

der Mundharmonika" auflegt, liebäugelt er heftig mit vibrierender Anteilnahme. Die kann er im<br />

Örtchen Silz einheimsen, einer proper aufgeräumten Gemeinde mit Butzenscheiben und<br />

Fachwerkfassaden, wo wie ehedem Landleute tote Eulen an ihre Scheunen nageln. Verständlich,<br />

dass vom dörflichen Innenleben nur Spärliches nach draußen dringt, und die Weisheit, "dass mir<br />

der Hund der Liebste sei, sagst du oh Mensch sei Sünde, der Hund bleibt mir im Sturme treu, der<br />

Mensch nicht einmal im Winde", nach wie vor ihre Gültigkeit besitzt. Ansonsten verstehen sich die<br />

Leute hier seit jeher auf ein genügsames Leben in Dankbarkeit und Pflichterfüllung.<br />

So viel Staat, so viel Politiker-Prominenz, das macht in Silz eine Menge her. Überall CDU-<br />

Plakate: Dr. Heiner Geißler kommt. Bei aller Ferne, bei mancher Nörgelei, letztendlich ist es doch<br />

"unser Staat" - "der Vater Staat", der in der Geißler-Kautzmann-Karawane stattlich repräsentiert<br />

vor dem Kultursaal stoppt. Undurchsichtig lächelnd schreitet Geißler zu seinem Publikum. Der<br />

Raum ist brechend voll, Jung und Alt bunt gemischt, dazwischen gehobene Mittelstandstupfer. Da<br />

fällt es selbst einem tingelnden Polit-Profi auf Anhieb nicht so leicht, die Versammelten an<br />

Physiognomie und Kleiderordnung einwandfrei zu taxieren. Erst stürmischer Applaus,<br />

warmherzige Ovationen nehmen ihm den Anflug von Irritation. Und Kautzmanns Röntgenblick<br />

signalisiert unzweideutig, dass es menscheln darf.<br />

Da steht er nun, dieser großangekündigte Dr. Geißler, dieses Politik-Fernseh-Ereignis zu<br />

den Abendnachrichten schlechthin, aus der Hauptstadt eingeflogen, seinen Charme versprühend,<br />

seine Referentin Frau Göbel wie immer in der ersten Reihe sitzend, seinen Fahrer Riemann an der<br />

Eingangstür postiert, seine beiden Sicherheitsbeamten jeweils links und rechts mit abzugsbereiter<br />

Pistole hinter sich wissend, seinen Kautzmann mitten im Raum unter den Leuten diagonal im<br />

Visier. Er ist zweifelsfrei ein Chamäleon von besonderen demagogischen Qualitäten, ein Sophist,<br />

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