07.02.2013 Aufrufe

Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

und angespannt sie waren. Sie mussten ein Arbeitsvolumen bewältigen, das ich für unmenschlich<br />

hielt, und sie standen unter einem immensen Erfolgsdruck.<br />

Ich war völlig andere Arbeits- und Umgangsformen gewöhnt. (Allein schon das<br />

Rheinländische war mir irgendwie fremd.) Mein angestammtes Milieu glich einer Art Kinderwelt<br />

mit unverklemmten, geraden Menschen. Ich musste ich lernen, meine Zeit noch zielbewusster<br />

einzuteilen und mit noch weniger Schlaf auszukommen. Ich musste mein Arbeitstempo enorm<br />

steigern, um all den Verpflichtungen nachzukommen, wie die Fraktion zusammenzuhalten,<br />

Kompromisse zu finden, Plenarreden vorzubereiten; und ich wollte Kontakte aufbauen zu den<br />

Menschen. So musste ich mir gewisse Fähigkeiten regelrecht antrainieren, wie Texte schnell<br />

durchzuarbeiten und Sachverhalte rasch zu rekapitulieren. Erst <strong>als</strong> ich diese Norm erfüllen konnte,<br />

glaubte ich, nicht ganz überflüssig zu sein.<br />

Und trotzdem hatte ich das Gefühl, Schütze im letzten Glied zu sein. Ich sah mich<br />

plötzlich mit so vielen parlamentarischen Könnern konfrontiert, die mir meine Wissenslücken<br />

verdeutlichten - was ich, Preußin und Pädagogin, die ich nun mal bin, <strong>als</strong> sehr unangenehm<br />

empfand. Eine Abgrenzung meinerseits von der doch von Männern vorgegebenen Arbeitsnorm<br />

gab es nicht: Ich hatte Respekt vor ihren Leistungen und ihrer Fähigkeit, unterschiedlichste<br />

Politikbereiche zusammen-zubringen.<br />

Mit der Zeit wurde mir klar, dass Bonn auch eine Arena für Karrieristen ist -ein<br />

Schauplatz bundesdeutscher Politik, der von absichtlichen Verdrehungen und Unterstellungen lebt,<br />

wo verletzende Polemik einen Eigenwert darstellt und entsprechend kultiviert wird. Ich bekam<br />

auch mit, wie groß die psychischen Probleme der Kollegen mit sich selber waren, wie die Politik-<br />

Szenerie sie fertig machte, während sie sich gleichzeitig <strong>als</strong> omnipotent darzustellen versuchten.<br />

Bonn hat mir zunächst imponiert. Dann merkte ich, dass da oft nur eine Show nach der<br />

anderen abgezogen wird, um im Rampenlicht zu stehen. Persönliche Eitelkeit trieb viele umher. Ich<br />

traf auf hartgesottene Handwerker, die stundenlang isoliert in ihren Zimmern vor sich<br />

hinwerkelten, und wenn sie dann endlich zum Vorschein kamen, dann ballerten sie mit Zynismus<br />

und Polemik aus allen Rohren. Da stellt man sich natürlich die Frage, wieso Veranstaltungen wie<br />

der Bundestag solche Verhaltensdeformationen zur Folge haben. Mein Motto lautete dagegen<br />

immer: Mensch mit Menschen zu sein. Weshalb lebt man denn sonst? Ich habe meine Aufgabe <strong>als</strong><br />

Volksvertreterin nie <strong>als</strong> Job aufgefasst. Wer diese Einstellung hat, der ist hier fehl am Platze.<br />

Wenn ich mir die Bonner Qualifikationskriterien anschaue, dann möchte ich am liebsten<br />

von einer Studienräte-Republik sprechen. Wer rhetorisch geschickt ist, wer eine gute<br />

Schulausbildung verfügt und sich noch Doktor nennen darf, der hat für eine Karriere in Bonn eine<br />

optimale Ausgangsposition. Aber das Volk setzt sich nicht nur aus Juristen, Oberstudienräten,<br />

Politologen und Soziologen zusammen, in unserem Volk leben zig Millionen sogenannter einfacher<br />

Menschen: Diese Menschen müssen doch mitbeteiligt werden.<br />

Und dann kommt hinzu: Die Politik muss nachvollziehbar sein. Nehmen wir zum Beispiel<br />

die Facharbeiter. Sie wissen, dass sie wichtige Exportprodukte herstellen und fühlen sich auch gar<br />

nicht - wie die marxistische Theorie behauptet - entfremdet, weil sie nur einen Teil des Produktes<br />

produzieren. Nein, ihre Fantasie reicht weit genug, um ihre Arbeit zum Endprodukt in Beziehung<br />

zu setzen. Und sie wissen genau, wohin ihre Produkte gehen; auch, dass ihre Arbeit die<br />

wirtschaftlich notwendigen Devisen bringt, ohne die wir schlecht dastünden. Ohne ihre Arbeit<br />

wäre unser Lebensniveau viel niedriger; für Reformen hätten wir mit Sicherheit kein Geld, von der<br />

Entwicklungshilfe für die Dritte Welt ganz zu schweigen. Und so manche wissenschaftliche<br />

546

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!