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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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wird mit Sicherheit ein Mann in das nächste Parlament kommen.' Mit diesem psychologischen<br />

Trick haben sie mich erwischt. Letztlich war es genau das Argument, das mich nach Bonn gehen<br />

ließ. Ich wäre mir anderenfalls selbst ziemlich unglaubwürdig vorgekommen. Denn ich regte mich<br />

fortwährend darüber auf, dass in den führenden Gremien so wenig Frauen saßen. So versuchte ich<br />

immer, Frauen in obere Schulpositionen zu bringen, zum Beispiel wenn eine Rektorenstelle neu<br />

besetzt werden musste. Und in den Parteiversammlungen war ich es, die sich seit eh und je darüber<br />

mokierte, dass zwar über die Hälfte der Menschheit Frauen sind, aber in der Politik nichts, aber<br />

auch gar nichts zu melden hätten. Von daher gesehen konnte ich dieses - überraschende - Angebot<br />

nicht ausschlagen. Hätte ich abgelehnt, dann wären unsere Frauen zu Recht verärgert gewesen und<br />

hätten mich mit ihrem berechtigten Vorwurf getroffen, ihnen eine Chance vermasselt zu haben.<br />

Für mich persönlich war die Entscheidung für Bonn eine Art Lebenswende.<br />

Wie alle Menschen hatte ich große Angst vor dem Krebs und war zutiefst erschlagen, <strong>als</strong><br />

es mich unvermittelt traf. Zum Glück blieb ich fest verankert in meiner Arbeit und Fürsorge für<br />

meine dam<strong>als</strong> sechzehn- und siebzehnjährigen Kinder Christine und Ulrich, so dass schon diese<br />

Beanspruchung wie ein Heilmittel auf mich wirkte. Und allmählich gelang es mir, meine<br />

Todesangst zu verdrängen, so dass mir noch Lebens-kraft blieb.<br />

Früher hatte ich immer gesagt, wenn ich einmal Krebs habe, dann fahre ich sofort gegen<br />

einen Baum - gegen eine uralte Eiche im Weserbergland, die mir dort unmittelbar nach dem Krieg -<br />

in ihrer ruhigen Gelassenheit zu einer Art Symbol geworden war.<br />

Nach all dem Leid, dem Unrecht und der Grausamkeit, die von Nazi-Deutschland<br />

ausgegangen sind, sah ich in dem Baum ein Symbol dafür, dass es an der Zeit war, endlich unsere<br />

Friedenshaltung gegenüber den Polen unter Beweis zu stellen. Das wünschte ich mir - ich, die auch<br />

eine Heimatvertriebene war, und auch in Anbetracht der Tatsache, dass elf Millionen Deutsche ihr<br />

Zuhause verloren hatten und in die Bundesrepublik integriert werden mussten. Es war ein für mich<br />

sehr bewegendes Erlebnis, dass die Deutschen fähig waren, diesen Schritt zu gehen, dass es mit den<br />

Ostverträgen Willy Brandts möglich war, das Bewusstsein der Menschen zu verändern.<br />

Als Heimatvertriebene konnte ich gut nachempfinden, dass die älteren Menschen ihre<br />

Verwurzelung in der Heimat verstärkt spüren - es wird dann alles wieder lebendiger - die alten<br />

Beziehungen bekommen eine neue Intensivität. Dazu die Traurigkeit über den Heimatverlust und<br />

die Erinnerung an die Nöte, die man <strong>als</strong> Flüchtlinge durchleben musste. - Die Ostverträge - das war<br />

eine großartige Friedensleistung der Deutschen gegenüber den Polen, die nie in Frage gestellt<br />

werden darf.<br />

Als ich wusste, dass der Krebs mein Wegbegleiter sein würde, fuhr ich nicht gegen die<br />

Eiche, sondern nach Bonn. Ich war besessen von der Absicht, in den mir noch verbleibenden<br />

Jahren etwas zu bewirken, gesellschaftliche Veränderungen zugunsten der Frauen anzustoßen. Ich<br />

nahm mir gar nicht die Zeit, über diesen Schicks<strong>als</strong>schlag Krebs nachzugrübeln. Das erlaubte ich<br />

mir nicht.<br />

Bis dahin kannte ich keinen der Herren aus der Bonner Politik persönlich. Die ersten<br />

Wochen <strong>als</strong> frische Bundestagsabgeordnete in Bonn reduzierten sich auf mehr oder weniger<br />

schüchterne Begegnungen mit prominenten Männern, die ich bisher nur vom Radio oder, später,<br />

vom Fernsehen kannte. Ich neigte anfangs dazu, sie zu überhöhen. Hießen sie nun Willy Brandt<br />

(*1913 +1992), Herbert Wehner (*1906 + 199o), Helmut Schmidt, der legendäre Chefdenker Carlo<br />

Schmid (*1896 +1979) oder vielleicht auch andere. Doch meine Einstellung gegenüber den<br />

Führungs-Figuren änderte sich schnell. Sie kamen mir menschlich näher, <strong>als</strong> ich merkte, wie nervös<br />

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