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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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umsatzkräftigste Einkaufsstraße der Republik nennen. Über 80.000 Passanten, mehr <strong>als</strong> eine<br />

Milliarde Umsatz jährlich - und das auf nur 600 Metern. Fast 700 Plantagen wurden auf den Beton<br />

der U-Bahn-Röhren gepflanzt, an ein künstliches Bewässerungssystem angeschlossen. Dazu<br />

Hunderte von Parkbänken aufgestellt, ein paar Brunnen und Pavillons mit surrealen Effekten<br />

hergerichtet: eben ein artifizieller und scheinbar doch richtiger Wald mitten in der Stadt der Türme<br />

und Banken, im Aktionsradius der Manager und Bonzen.<br />

Vordergründig menschelt es auffällig laut in dieser Stadt. Gerade deshalb will sich ihr<br />

Oberbürgermeister künftig noch weitaus augenscheinlicher, weitaus "menschlicher" verausgaben,<br />

keimfrei und klug dazu. Frankfurt sei wieder "in", auch sein Renommee wüchse über die<br />

Stadtgrenzen hinaus, murmelt "Der Spiegel" Gedanken verloren. Das mag sicherlich fürs<br />

bildungsbürgerliche Ambiente und seine aufgemöbelten Großvillen am Museumsufer zutreffen.<br />

"Identifikationsbauten" heißen die umstrittenen Prestige-Projekte in unverkennbarer Amtsdiktion.<br />

Über sechs Milliarden Mark pumpte die Verwaltung über Rücklagen und Kredite in Neubauten<br />

und Stadtsanierung. Allein die alte Oper, dieser restaurierte Musen-Tempel früherer Epochen<br />

verschlang 200 Millionen Mark.<br />

Tatsächlich zerfressen aber unbändige Aggressionen die so herausgeputzte Innenstadt.<br />

Aggressionen der Angst, Aggressionen der gemeinsam erlebten Einsamkeit, der Isolierung,<br />

Aggressionen der Selbstbehauptung, Aggression der Triebe. Alle 23 Sekunden passiert ein<br />

Verbrechen. Jeden dritten Tag beendet ein Frankfurter freiwillig sein Leben. Ob nun Selbstmord<br />

oder Verkehrstod, ob äußere oder innere Aggression, die Grenzen sind fließend, längst nehmen<br />

sich die Zahlen nicht mehr viel.<br />

Immer häufiger wird die Schusswaffe zum unentbehrlichen Wegbegleiter. Schon in der<br />

City gelingen all monatlich zwei Morde. An die 25 Brandanschläge registriert die Feuerwehr in<br />

derselben Zeitspanne. Allein bei Rauschgiftdelikten klettert die Statistik auf 6,7 Fälle täglich.<br />

Gemeinhin teilt die Polizei Rauschgifttote nur noch unter fortlaufender Nummerierung mit. Halb<br />

resigniert, halb ohnmächtig spult sie ein Fahndungssonderprogramm nach dem anderen ab - immer<br />

mit der elegischen Gewissheit, "dass die Szene von uns nicht zu säuber ist", wie der<br />

Polizeipräsident bekennt.<br />

Alle 24 Stunden werden in Frankfurt Frauen Opfer einer Vergewaltigung. Und jeder<br />

Schüler tobt seine Wut im Durchschnitt für 35 Mark an PC-Rechnern oder Projektoren aus.<br />

Immerhin schlagen derlei Demolierungen im Stadthaushalt mit insgesamt 2,4 Millionen Mark zu<br />

Buche. Einmal stündlich, exakt 8.951 Mal im vorigen Jahr, reagieren sich irgendwelche Bürger<br />

irgendwo an Telefonzellen, Mülleimern, Wasserhäuschen oder Autos ab. Dabei handelt es sich nur<br />

um offizielles, meist frisiertes Zahlenmaterial. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher; sie übertrifft<br />

um ein Fünf- bis Zehnfaches die amtlichen Prozentsätze. Dieses Frankfurt steigerte binnen zehn<br />

Jahren seine Kriminalitätsrate um hundert Prozent und dieses Frankfurt steht vor allen anderen<br />

deutschen Großstädten einsam, beinahe unerreichbar an der Spitze. Und das, obwohl seine<br />

Einwohnerzahl nicht im entferntesten an Berlin, Hamburg oder München heranreicht.<br />

Der Zeitgeist quetscht sich in die Polizeiberichte, die in ihrer unnachahmlichen Diktion<br />

zwar keinen Rauschgifttoten, kein Phantombild auslassen. Die Motive jugendlicher Selbstmörder<br />

indes bleiben in der Grauzone. So wird in Frankfurt am Main mit seinem geschmeidigen<br />

Wachstums-Konservatismus die Erosion verwaltet, werden Tote akkurat mitgeschrieben,<br />

Statistiken <strong>als</strong> Selbstzweck angereichert. Frankfurt in diesen Tagen - bedrückende Ereignisse,<br />

Befindlichkeiten in einer durch Aggressionen gekennzeichneten Wirklichkeit.<br />

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