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Bauern in Frankreich. An die 300.000 Höfe sollen nach EU-Maßgaben über kurz oder lang<br />

verschwinden. Nach einer Lagebeurteilung des Pariser Innenministerium steht dem Land ein<br />

"heißer Herbst der Bauernrevolte" bevor. Die bisherigen spektakulären Protestaktionen stufen die<br />

Ministerialen dabei lediglich <strong>als</strong> "Vorspiel" ein. Etwa die Blockaden von Autobahnen, Nation<strong>als</strong>traßen<br />

und Brücken rund um Paris. Wütende Bauern hatten in Südfrankreich , der Loire-Region<br />

bei Chartres und in Nantes tonnenweise Gemüse und Ost auf die Straße gekippt; "um einmal die<br />

Schmerzgrenze der französischen Bevölkerung zu testen", wie es Jacques Laigneau vom<br />

Koordinationsausschuss spontaner Bauern-Rebellionen lakonisch formulierte. Empörten<br />

Autofahrern legten sie kurzerhand Stacheldrahtrollen unter die Räder. - Endzeitstimmung.<br />

Ohnehin sind die Verkaufskurse von Obst und Gemüse die niedrigsten seit Jahrzehnten -<br />

und die Bauern erleiden Absatzverluste. Über 3.000 Tonnen Birnen landeten in der Gegend von<br />

Aix-en-Provence im Juli auf der Mülldeponie, weil sich keine Abnehmer fanden. Und die EU<br />

belohnt solche Vernichtungsaktionen auch noch im Durchschnitt mit 3,40 Cent pro Kilo -Europa<br />

zu Beginn der neunziger Jahre.<br />

Aber auch die französischen Politiker bleiben in ihrem Sommerurlaub nicht verschont. In<br />

Auxerre drängten 60 Landwirte auf das Grundstück des Chefs der EU-Kommission Jacques Delors<br />

(Präsident der EU-Kommission 1985-1995), und versprühten Entlaubungsmittel. Im<br />

südfranzösischen Arles verhinderten Polizisten, dass Demonstranten die Wohnung von<br />

Justizminister Vauzelle besetzten. Statt dessen hinterließen Bauern auch hier Gemüse- und<br />

Obstberge.<br />

Wer nach Gründen sucht, warum Hunderttausende von französischen Bauern heute teils<br />

mit offenen Aggressionen dem Staat gegenüberstehen, warum für viele die etablierten Parteien<br />

kaum noch wählbar sind, und die rechtsradikale "Front National" des Jean-Marie Le Pen sich über<br />

Zulauf freuen kann - der sollte das Lebensgefühl der französischen Bauern nicht vergessen. Es<br />

wird von einem Bewusstsein getragen, in ein vorbestimmtes Leben gepresst zu werden -<br />

vorausgesetzt man wähnt sich auf der Gewinnerseite. Frankreichs leistungsorientierte öffentliche<br />

Meinung ist längst dazu übergegangen, sich in stereotypen Floskeln und plakativen Kürzeln<br />

untereinander zu verständigen -vornehmlich, wenn es um Schicks<strong>als</strong>fragen der Bauern geht.<br />

Lebensgefühl und Selbstwahrnehmung lassen sich zunehmend heftiger von bedrohlichen<br />

Momenten leiten, "dass unsere Existenz auf dem Lande so ziemlich sinnlos ist. Als erklärten uns<br />

die Städter für verrückt, weil wir unser Bauern-Dasein, unser Land lieben. Es ist aber inzwischen<br />

so, <strong>als</strong> würde uns jäh der Boden unter den Füssen fortgerissen. Manchmal denke ich, wir haben all<br />

die Jahre umsonst geschuftet", sagt die 41jährige Bäuerin Jacqueline Laurencin aus Seillonnaz. Der<br />

Bauern-Alltag der Madame Jacqueline ist geprägt von harter körperlicher Arbeit und Ausdauer.<br />

Ihre Anforderungen sind typisch für eine große Zahl von Bäuerinnen, ohne die nun einmal nichts<br />

funktioniert in Frankreich und anderswo.<br />

Seit 22 Jahren ist Jacqueline mit ihrem Mann Robert verheiratet. Sie ist Mutter zweier<br />

Söhne, die auch mal Landwirte werden wollen. Früher einmal - nach dem Abitur - hatte sie unten<br />

im Tal <strong>als</strong> Sekretärin gearbeitet. Heute hingegen bedauert sie die sauerstoffarmen Schreibtisch-<br />

Menschen. Heute möchte Jacqueline nicht mit ihnen tauschen, auch wenn sie auf dem Hof doppelt<br />

so viel schuftet und sich in der Industrie ein paar Euro mehr verdienen lassen. "Nein", beteuert sie<br />

selbstbewusst, "hier in den Voralpen kann ich mein Leben selber gestalten, mitbestimmen,<br />

weitgehend Endscheidungen treffen. Wir Frauen auf dem Land sind viel selbstständiger und auch<br />

autonomer <strong>als</strong> so manche Städter das wahrhaben wollen. Einige Emanzipationsdebatten aus dem<br />

fernen Paris wirken auf mich wie Berichte von einem anderen Planeten. Das alles ist bei uns schon<br />

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