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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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1.200 Mark brutto - zahlt für 13 Tage Ostsee mit Vollverpflegung 570 Mark. Je 30 Mark für die<br />

Kinder und je 240 Mark für sich. Für diesen Preis brauchen sich die Werktätigen ,aber auch um<br />

nichts zu kümmern. Das Kollektiv des Erholungsheimes ist den "wehrten Gästen" allgegenwärtig.<br />

Das beginnt mit dem Wecken zwischen sechs und sieben, der Bettruhe möglichst gegen 22 Uhr.<br />

Das reichhaltige Angebot auf der Speisekarte berücksichtigt die "Grundsätze der<br />

gesundheitsfördernden Ernährung". Auf Seite eins steht: "Ihr Kalorienbedarf im Tagesablauf<br />

beträgt: für Facharbeiter ohne wesentliche körperliche Anstrengung (Zeichner, Optiker, Chemiker<br />

oder leitende Angestellte) 2.700 Kalorien. Für mittelschwer arbeitende Werktätige (Tischler,<br />

Schumacher, Schlosser oder Druckformhersteller) 3.500. Für Schwerstarbeiter (Dachdecker,<br />

Schmied, Walzwerker, Bergmann oder Gleisbauarbeiter) 4.400. Für Kinder 2.100 Kalorien."<br />

Doch nicht nur am Büfett wacht der FDGB darüber, dass die in der DDR ausgebrochene<br />

Fresswelle eingedämmt wird (Programm: "Jeder ist, was er isst"). Nach dem Motto "wer rastet, der<br />

rostet" steht der "sozialistische Mensch" auch in den Ferien im organisierten Wettbewerb: im<br />

sportlichen, modischen und auch ideologischen. Morgens neun Uhr: Konditionstest oder Lauf<br />

der Freundschaftsmeile. Gymnastik, Tischtennis- oder Volleyballturniere, Schwimmwettbewerbe<br />

über 70 Meter und "volkstümliche Dreikämpfe" -bestehend aus Lauf, Sprung und Stoß" - schließen<br />

sich an.<br />

Nachmittags ist für Kinder "Lachen die beste Medizin" eine heitere Sprechstunde bei Frau<br />

Puppendoktor Pille, Eintritt 0,50 Mark. Oder am Strand gibt's "Korbballzielwerfen für die<br />

Familie". Für die Mütter gastiert im Konzertgarten Ost "der Modezeichnerverband für<br />

spezialveredelte Erzeugnisse der DDR". Über 100 Modelle zeigen Charme, Schick und in HO-<br />

Läden nicht erhältliche Entwürfe.<br />

Am Abend tanzen die Urlauber entweder an "allen Verpflegungsstellen" (Programm) -<br />

wer sich einen Platz im Kurhaus ergattert, vergnügt sich bei der Wolfgang-Gißmann-Combo - oder<br />

es geht ins Kino "Aber das Blut ist rot" oder zu Victor Hugos (*1802+1885) "Elenden". Zum<br />

guten Ton gehört es auch, mindestens einmal in den Ferien etwas fürs "sozialistische Bewusstein"<br />

(Funktionär Witt) zu tun. Zahlreiche Veranstaltungen sind darauf abgestellt. Strandbühne 15 Uhr:<br />

"30 Jahre danach - der antifaschistische Widerstandskampf und die Erfüllung seines<br />

Vermächtnisses in der DDR." FDGB-Heim 19.30 Uhr: "Zwischen zwei Parteitagen: Entwicklung<br />

und Politik der DDR." Waldkrone 20 Uhr: "Dia-Ton-Vortrag über den Revolutionär und<br />

Theologen Thomas Müntzer (*1489+1525) - die historischen Beweggrunde der Bauernaufstände."<br />

Trotz Polit-Programm, Massenverpflegung und Heimunterkunft ist für DDR-Bürger die<br />

Ostsee das beliebteste Urlaubsziel. Jährlich warten 300.000 Familien vergebens auf eine FDGB-<br />

Zuweisung. Denn auch die sechzig Campingplätze zwischen Boltenhagen und Ahlbeck sind<br />

überfüllt. Selbst Zeltplätze werden in der DDR zentral vom Computer vergeben. Kühlungsborn<br />

Bürgermeister Walter Vörgaard :"Wir müssen im Sozialismus schließlich gerecht vergeben."<br />

Wie gerecht die sozialistische Wirklichkeit aussieht, verraten auf der Landzunge zum Darß<br />

die pittoresken Badeorte Ahrenshoop und Wustrow. Entlang der Strandböschung entstand eine<br />

Art sozialistisches Kampen; irgendwie schon vergleichbar mit diesem Ort auf der Schicki-Mikki-<br />

Insel Sylt. Weißgetünchte Villen und Bungalows mit reetgedeckten Dächern reihen sich weiträumig<br />

aneinander. Wassersprüher ziehen auf den riesigen Rasenflächen und üppigen Rosenbeeten ihre<br />

Kreise. Der sowjetische Moskwitsch oder der tschechische Skoda - Klassen besser <strong>als</strong> der<br />

Zweitakter Trabant - parken in den Garagen. Zwischen Ahrenshoop und Wustrow entspannt sich<br />

weit entfernt, unnahbar die Elite vom "klassenlosen" Alltag. SED-Funktionäre, Ärzte, Ingenieure,<br />

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