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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Gutachten der Industriegewerkschaft Metall gehen bereits davon aus, dass dieses Land Ende der<br />

achtziger Jahre sechs Millionen arbeitslose Menschen beherbergen dürfte.<br />

Während die Mehrzahl der etablierten Politiker noch immer glaubt, die negativen Folgen<br />

des technischen Fortschritts und der Wirtschaftskrise mit den konventionellen Wachstumsrezepten<br />

kurieren zu können, fehlt es der Alternativbewegung an Motivation, diesen mitzutragen. Kaum<br />

einer weiß, welche Fundamente die pathetisch hochgepriesene Zukunft noch hat. Unübersehbar<br />

dagegen ist, wie Wälder vernichtet, Städte zubetoniert, Flüsse und Luft verseucht werden oder<br />

Kernkraftwerke mit ihren uneinschätzbaren Risiken entstehen - und das alles nur um des<br />

Wachstums willen. Die geradezu trotzigen Anstrengungen, durch einen erneuten wirtschaftlichen<br />

Boom wieder eine Dekade des Wohlstands und damit der sozialen Versorgung erreichen zu<br />

können, lassen geflissentlich außer acht, dass gerade dieses Wachstum den emotionalen und<br />

psychischen Grundbedürfnissen der Alternativszene diametral entgegensteht.<br />

Für die alternative Schattenwirtschaft kommentierte der Frankfurter Pflasterstrand, das<br />

Zentralorgan der Spontis, die eklatanten Einbrüche der bürgerlichen Wirtschaft so: "Diese Krise ist<br />

keine Flaute, sie hat Substanz. Die Überflussgesellschaft ist realisiert, und in ihrer Realisierung<br />

steckt ihr Zerfall. Liest man die Wirtschaftsseiten der Zeitungen genau, kommt eine simple<br />

Botschaft heraus: Ökonomisches Wachstum gibt es immer dann, wenn bei breiten Schichten<br />

Mangel und Bedürfnis herrschen. In einem Zeitalter, in dem 98 Prozent einen Kühlschrank und<br />

jeder Zweite ein Auto besitzt, stagnieren die Märkte: Mehr Konsum mit anderen Produkten,<br />

Kapitalisierung des Dienstleistungsgewerbes, Verkabelung, Digitalisierung der TV-Kanäle - all dies<br />

wird den ökonomischen Verfall bremsen, aufhalten vielleicht, aber irgendwann ist selbst das<br />

hungrigste Schwein einmal satt . . . Eine Alternative dazu müsste, ebenso wie die Krise selbst, mehr<br />

Substanz besitzen, auf einen völlig anderen Umgang mit Zeit, Geld, Arbeit und Konsum<br />

hinarbeiten, die notwendige Stagnation des Wachstums umverteilen."<br />

Zu ähnlichen Ergebnissen wie der von Daniel Cohn-Bendit herausgegebene Pflasterstrand<br />

(1976-1990) kam der von Alternativen viel gelesene Franzose Alain Touraine seines Zeichens ein<br />

Industriesoziologe des sozialen Wandels Mitte der siebziger Jahre. Er schrieb: "Wir leben in einer<br />

Zwischenzeit, in der sich kulturelle Veränderungen und gesellschaftliche Konflikte so sehr<br />

vermische, dass sie sich nicht voneinander trennen lassen", textete Touraine in seinem Buch<br />

"Jenseits der Krise" (Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1976). Gemeint ist damit ein schleichender<br />

Strukturumbruch in den westlichen Arbeitsgesellschaften, der sich erst allmählich und nur über<br />

veränderte Werteinstellungen in der Praxis durchzusetzen vermag. Touraine benennt fünf<br />

aufeinanderfolgende Entwicklungsphasen des Übergangs von der Industriegesellschaft in die<br />

nachindustrielle Gesellschaft: Soziale Krise, kulturelle Krise, kultureller Wandel, sozialer Wandel,<br />

politische Auseinandersetzung.<br />

Er prophezeite ein Auseinanderbrechen der Gesellschaft in große technokratische<br />

Einheiten auf der einen Seite und eine Bewegung der Verweigerung und Gewalt auf der anderen.<br />

Die neuen, klassenunabhängigen, gesellschaftlichen Strömungen, so Touraine, müssten zum<br />

Gegenangriff übergehen, um die Herrschaft über die Entwicklungskräfte zu übernehmen. Ihr Ziel<br />

sei die Wiederherstellung sozialer Beziehungen, der Bestand einer Gesellschaft, die sich <strong>als</strong> Netz<br />

kommunikativer Beziehungen und nicht mehr <strong>als</strong> Energie verbrauchende Maschine definiere.<br />

Touraine: "Wollen wir aus der Krise herauskommen, so müssen wir lernen, die neuen Ufer, auf die<br />

wir zusteuern, die Imperien, die sich herausbilden, und die Kräfte, die ihnen im Kampf<br />

entgegentreten können, ins Auge zu fassen."<br />

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