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Beim Spanier Felipe Gonzales reichte es gar schon zur Kündigung, dass er seine<br />

"Schichtführerin Frau Karin Schulze vor allen Mitarbeitern ausgelacht habe, <strong>als</strong> sie die<br />

Notwendigkeit von Überstunden bekannt gab."<br />

In beiden Fällen wies Richter Vogel die Kündigung <strong>als</strong> unzulässig zurück. Der Fall<br />

Gonzales war Michael Vogels 720. Urteilsspruch in seiner jetzt siebenjährigen Richterzeit. Anfangs<br />

hatte der Jurist geglaubt, "für ein Stück sozialer Gerechtigkeit sorgen" zu können. Diese Illusion hat<br />

die Alltagsroutine umgebracht. Vogel weiß nur zu gut, dass seine Urteile nicht viel mehr wert sind<br />

<strong>als</strong> ein Stück Papier.<br />

Als Regina Würger, die Arbeiter Hüper und Remmers und die Gastarbeiter Stojanovic<br />

und Gonzales gefeuert wurden, war es Anfang oder Mitte 1975. Als Richter Vogel zum<br />

Kammertermin vorlud, war der Kalender bereits zwölf Monate weiter.<br />

Von zehn Gekündigten, die vors Arbeitsgericht gehen, sind acht noch arbeitslos, <strong>als</strong> das<br />

Urteil gefällt wird. Die kurzen Kündigungsfristen, meist zwischen einer und sechs Wochen, und die<br />

sich dahinschleppende Justizbürokratie lassen die Beweiswürdigung der Arbeitsgerichte zur Farce<br />

werden. Richter Vogel: "Bei der ersten Verhandlung glauben die meisten noch, sie würden mithilfe<br />

des Gerichts ihren Arbeitsplatz wiederbekommen. Beim zweiten oder dritten Termin wird ihnen<br />

langsam klar, dass es letztlich nur um eine mehr oder weniger dürftige finanzielle Abfindung geht."<br />

Denn kein Arbeitgeber kann durch richterlichen Beschluss gezwungen werden, einen<br />

Arbeitnehmer wieder einzustellen. Auch wenn das Gericht die Kündigung für nicht rechtens<br />

erklärt, kann der Unternehmer die Lösung des Arbeitsverhältnisses beantragen. Er ist aufgrund<br />

seiner Vertragsfreiheit nicht verpflichtet, einen ehemaligen Mitarbeiter neu zu engagieren. Sein<br />

einziges Risiko: Eine Kündigung kostet Geld.<br />

Für Vogel ist die Funktion des Arbeitsgerichts eher "ein Regulativ für den Arbeitsmarkt<br />

<strong>als</strong> eine konjunktur-politisch unabhängige Rechtsprechung". Der Präsident des Hessischen<br />

Landesarbeitsgerichts, Hans Gustav Joachim, bezeichnet die Ohnmacht der Arbeitsrichter <strong>als</strong><br />

"dramatisch, sozi<strong>als</strong>taatlich unerwünscht und verfassungsrechtlich nicht mehr zu verantworten."<br />

Seit dem Jahre 1970 steigen etwa in Hessen die Zahl der Arbeitsgerichtsverfahren ohne Unterlass;<br />

zwischen 1970 bis 1975 um 54 Prozent. Selbst zu Beginn der neunziger Jahre schnellten nochm<strong>als</strong><br />

die Gerichtstermine um weitere 19,2 Prozent nach oben - auf etwa 35.000 Fälle pro Jahr.<br />

Keine Frage - mit fragwürdigen "Hire-and-Fire"-Methoden wird der Kündigungsschutz<br />

allmählich zur Makulatur, befinden sich deutsche Arbeitsgerichte in einer stetigen Erosion. Allein<br />

in Bayern bräuchten Arbeitsrichter bei einer 40-Stunden-Woche ein ganzes Jahr, um nur die bereits<br />

angehäuften Verfahren abzuarbeiten - vorausgesetzt es kämen keine Weiterern dazu. In Köln muss<br />

jeder Arbeitsrichter bis zu 96 Verfahren im Monat durchziehen. Im Jahre 1972 brauchte er in der<br />

gleichen Zeit nur 65 Fälle.<br />

Wirtschaftskrisen, ökonomische Strukturanpassungen, Zeiten existenzieller<br />

Ungewissheiten sorgen vor Deutschlands Arbeitsgerichten für eine stetige Hochkonjunktur. Allein<br />

in Stuttgart, dem drittgrößten Arbeitsgericht, stieg die Zahl der Klagen in den Jahren 2001 bis 2004<br />

um 43 Prozent auf 20.000. Immer seltener kommt es zu einer vorprozessualen Einigung beim<br />

"Gütetermin". Nach der "primitiven Faustregel" (Vogel) "ein Jahr Betriebszugehörigkeit = ein<br />

Monatsgehalt Abfindung" konnte jahrelang unzählige Prozesse abgewimmelt werden. Heute sind<br />

die Parteien kaum noch kompromissbereit. Die Arbeitgeber, weil sie die Zahlung einer Abfindung<br />

vermeiden wollen, die Arbeitnehmer, weil ihnen der Arbeitsplatz wichtiger ist <strong>als</strong> ein "lächerlicher<br />

Geldbetrag" (Vogel).<br />

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