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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Nur am Ausschläger Elbdeich plätschert das Wochenende eher freudlos vor sich hin.<br />

Genauer gesagt auf der "Carin II", einer Privatjacht, die dem stern-Journalisten Gerd Heidemann<br />

gehört. Heidemann, auch Gerdsche genannt, zählt allseits unbestritten zu den hochkarätigen<br />

Rechercheuren der Illustrierten - und das schon seit mehreren Jahrzehnten. Eben der<br />

"hartnäckigste, raffinierteste Reporter Deutschlands, der zäheste Spürhund, der sich überhaupt<br />

denken lässt". Eben ein klassischer Karriere-Mann, der sich während seiner Laufbahn nicht einmal<br />

eine Gegendarstellung, keine Klage, keinen Prozess einhandelte, wie der stern großspurig kundtat.<br />

An diesem Wochenende im Jahre 1978 hockt der stern-Star ein wenig gelangweilt in<br />

seinem Schiffssalon. Ihm missfällt jeder Stillstand, jede Minute, die Heidemann mit Heidemann zu<br />

konfrontieren droht. Er hasst erst recht jeden Urlaub, den er immer wieder <strong>als</strong> eine "empfindliche<br />

Strafe" wahrnimmt. Ferien zu machen, auszuspannen, das hieße ja, von der nahezu manischen,<br />

ureigensten Besessenheit, vom rasenden Fanatismus abzuschalten, sei es auch nur für ganze sechs<br />

Wochen. Wenn innere Ruhe <strong>als</strong> Bedrohung empfunden wird ...<br />

Aus dem Bord-Kassettenrecorder scheppert stattdessen der Radetzky-Marsch,<br />

Heidemann, in der Prachtuniform des Reichsmarschalls Hermann Göring (*1893+1946), wartet<br />

auf seinen Erbseneintopf. Das Ambiente um ihn herum: Göringsches Tafelsilber, Göringsche<br />

Aschenbecher. Selbst die Kissenbezüge stamme aus Görings Bademantel. In der Kombüse bekocht<br />

ihn Gina. Natürlich hat Gina wasserblaue Augen, ist groß wie blond, eine Frau, die an Lebensborn<br />

wie Rassenglück erinnert, an jene vollends entgeisterten Arierinnen, die den Führer ein Kind<br />

schenkten; <strong>als</strong>bald darf Gina sich dennoch Frau Heidemann IV. nennen. Szenen wie aus<br />

Hollywood, nur mit dem kleinen Unterschied, dass derlei Anwandlungen im Hamburg der siebziger<br />

Jahre irgendwo auf einem Kahn im Wasser der Wirklichkeit entsprachen.<br />

Keine anderen <strong>als</strong> der ehemalige Waffen-SS-General und unbelehrbare Verteidiger der<br />

Reichskanzlei Wilhelm Monke (*1911+1977) wie auch der frühere Waffen-SS- General und<br />

Himmler-Intimus Karl Wolff (*1900+1984) werden in wenigen Wochen später die Heidemanns <strong>als</strong><br />

Trauzeugen zum Standesamt eskortieren. Wolff, ein Nazi-Karrierist und Scherge, der wegen<br />

Ermordung von 300.000 Juden zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Wolff, den<br />

Heidemann stets <strong>als</strong> "Wölfchen" liebkost; einfach, weil er doch so "ein netter Mann ist".<br />

Die "Carin II" - das war einmal Görings Schiff. Im Jahre 1937 bekam er es im Werte von<br />

1,3 Millionen Reichsmark von der Automobilindustrie geschenkt. Im Jahre 1973 kaufte es<br />

Heidemann im ziemlich verrotteten Zustand einem Bonner Druckerei-Besitzer für immerhin<br />

160.000 Mark ab. Zwischenzeitlich diente es unter dem Namen "Prince Charles" dem englischen<br />

Königshaus <strong>als</strong> Prominentenjacht. Die "Carin II" - sie wurde zu Heidemanns Refugium. Eine tief<br />

verwurzelte, emotionale Heimstatt, für die er sein Haus veräußerte, für die er sich bei der<br />

Deutschen Bank wegen der immensen Renovierungskosten sogar um 300.000 Mark verschuldete<br />

(Kontonummer: 521.815.101)<br />

Eine Affinität, die Heidemann geschickt mit Geschäftsinteressen oder "zeitgeschichtlichen<br />

Nachforschungen" zu kaschieren wusste, aber tatsächlich bereits im Jahre 1945 ihren nachhaltig<br />

prägenden Ausgangspunkt nahm. Dam<strong>als</strong> war Gerd Heidemann gerade dreizehn Jahre alt, <strong>als</strong> die<br />

aus Holland zurückbeorderte Panzer-Division "Hitler-Jugend" in Dorfmark am Rande der<br />

Lüneburger Heide ihm das Zerlegen von MGs und Schießen beibrachte, Pimpf Heidemann mit<br />

"feucht-glänzenden Augen" zu den 17jährigen Waffen-SS-Männern aufblickte.<br />

Auf diesem Geisterboot schuf Gerd Heidemann sich nach all den verwirrenden<br />

Verirrungen eines Reporterlebens seine Wirklichkeit; die der Nazis ("Kamerad-weißt-du-noch"), die<br />

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