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IM CLUB DER NUKLEOKRATEN<br />

Ungeachtet weltweiter Kritik an der friedlichen Nutzung der Kernenergie setzt<br />

Frankreich gerade in Jahren des Klimawandels und enorm gestiegener Energiekosten<br />

unbeirrt auf weitere Expansion seiner 58 Atomreaktoren, die 80 Prozent des<br />

Stromverbrauchs erzeugen.<br />

Die französische Regierung wertet den systematischen Ausbau und<br />

umfangreichen Export ihrer Kernenergie in sogenannte industrielle Schwellenländer <strong>als</strong><br />

aktiven Beitrag gegen Erderwärmung, gegen Treibhausgase. Mit Ende des Jahres 2008<br />

wird der staatliche Stromkonzern EDF den angeblich sichersten französischen<br />

Druckwasserreaktor-Typs EPR der Welt in Betrieb nehmen. Eine enge Kooperation mit<br />

England ist unter Dach und Fach.<br />

Während nur Deutschland - weltweit <strong>als</strong> einziges Industrie-Land - ganz aus der<br />

atomare Stromversorgung aussteigen will, setzt Frankreich auch in Zukunft ganz auf seine<br />

Kernkraftwerken. Sie ist im Land unumstritten. Mittlerweile erobern sich in der Atom-<br />

Nation Frankreich immer mehr Frauen Schlüsselpositionen in den AKWs. Im<br />

Kernkraftwerk Le Bugey im Rhônetal, einst klassische Männer-Domäne, führen sie<br />

inzwischen wie selbstverständlich Regie.<br />

Freitag, Berlin vom 7. Mai 1993<br />

Der mit Monitoren bepflasterte Kontrollraum kennt nur Männer-Gesichter. Gesichter, die<br />

auch unbeobachtet keinen Zweifel aufkommen lassen dürfen. Etwa ein Dutzend Operateure und<br />

Ingenieure luchst im Überwachungszentrum des französischen Kernkraftwerkes Le Bugey im<br />

Rhône-Tal unaufhaltsam auf Bildschirme, Farbskalen, Schalter samt Knöpfen. Völlig abgeschottet,<br />

ohne Tageslicht, so steuern bislang diese auserkorenen Männer-Mannschaften die atomare<br />

Stromversorgung von etwa 13 Milliarden Kilowattstunden in einem Jahr, eine Energie-Produktion,<br />

die etwa 3,3 Millionen Tonen Heizöl entspricht.<br />

Im Werk Le Bugey und auch anderswo in Frankreich verstand es sich in den vergangenen<br />

zwei Jahrzehnten nahezu von selbst, die Atom-Männer in sensiblen Kommandozentralen der 61<br />

Kernkraftwerke der Republik <strong>als</strong> "Tabu" zu behandeln. Zu unangefochten nimmt sich ihre Position<br />

zwischen Leben und potenzieller Massenvernichtungsgefahr aus, zu autoritär und sicher kam ihre<br />

scheinbar in sich ruhende Selbstgewissheit männlicher Machbarkeit daher. Unausgesprochen - aber<br />

im alltäglichen Verhalten nachhaltig vermittelt: Wir sind der zivile Atomstaat Nummer eins in der<br />

Welt, die nukleare Festung Europas, la France <strong>als</strong> atomare Avantgarde schlechthin. Wir haben<br />

einen omnipotenten Leistungswillen. Unser Motto heißt: Tout nucléaire -Atomstrom total. Dabei<br />

stehen wir konsequent in der Tradition der Fünften Republik. Erst ließ Charles de Gaulle<br />

(*1890+1970) die Bombe zur militärischen Abschreckung bauen, dann überzogen wir nach dem<br />

Ölschock Anfang der siebziger Jahre das Land systematisch mit Reaktoren - eine Tat des Friedens,<br />

friedlich durchgesetzt.<br />

Atom und Männlichkeit in einem Atemzug zu nennen, scheint jedenfalls im Dunstkreis<br />

der französischen Kernkraftwerke nur folgerichtig zu sein. Selbstwahrnehmung und Lebensgefühl<br />

sind hier seit jeher getragen von einem Bewusstsein, zur Elite des Landes, zu einer hochkarätigen,<br />

abgeschotteten Kaste der Republik zu zählen. Denn Frankreich verfügt über keine nennenswerten<br />

Energiequellen. Dank der Atomkraft gelang es in den letzten zwanzig Jahren, die Kosten für<br />

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