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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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einigen Jahren war sie bei einem Besuch in der Bundesrepublik noch wie geblendet. Sie zog von<br />

Geschäft zu Geschäft, bestaunte das Warenangebot ("Warum habe ich bei mir im Laden nur keine<br />

grüne Götterspeise?"), kaufte für die 20 deutschen Familien in Braunswalde dutzendweise<br />

Groschenromane ein. Ihrer Tochter Irene, heute 21, wollte Hildegard Brosch ein Paar Stiefel<br />

mitbringen. Im Kaufhaus fragte sie nach Schuhgröße 37. Es waren jedoch nur wenige Paare eine<br />

halbe Nummer kleiner zu haben. Die Verkäuferin riet ihr, die kleineren Lederstiefel zu kaufen und<br />

notfalls wieder umzutauschen. Hildegard Brosch: "Das geht aber nicht, denn ich komme aus<br />

Polen." Darauf die Verkäuferin: "Für die Polacken ist das doch gut genug. Die Schuhe werden Sie<br />

dort immer wieder los."<br />

Hildegard Brosch war völlig durcheinander. Beim Schwager, der mit ihrer Schwester erst<br />

ein paar Jahre zuvor von Braunswalde nach Hamburg übersiedelt war, suchte sie Beistand. Doch<br />

der Schwager verstärkte ihre Unsicherheit noch: "Wenn du hier einkaufen gehst, sag' am besten<br />

nicht, dass du aus Polen kommst. Das hören die Leute nicht so gern. Ostpreußen klingt viel<br />

besser." - Hildegard Brosch kam nun mal aus Polen. Dort hatte sie sich 30 Jahre <strong>als</strong> Deutsche<br />

gefühlt und verhalten. Sollte sie nun in der Bundesrepublik wieder <strong>als</strong> Außenseiterin abgestempelt<br />

werden? "Nein", sagt die 54jährige Kriegerwitwe, "dann bleibe ich lieber dort, in meinem kleinen<br />

Laden in der Dorfmitte von Braswald und bei meinen Kühen und zwei Schweinen auf dem Hof."<br />

Nein sagte auch die 60jährige Krankenpflegerin Helene Zappa - aber erst nach 12 Jahren<br />

Aufenthalt in der von ihr früher so ersehnten Bundesrepublik: "Ich fühlte mich dort isoliert und<br />

überflüssig." Als sie 1974 zur polnischen Botschaft nach Köln fuhr, um wieder in die "Heimat<br />

zurückzukehren", ahnte sie nicht, dass sie sich damit <strong>als</strong> Rückwanderer zwischen die deutschpolnischen<br />

Stühle setzen würde. 1951 hatte die Reichsdeutsche die polnische Nationalität<br />

annehmen müssen, 1962 durfte sie in den Westen ausreisen, wurde von Polen ausgebürgert und<br />

war vorübergehend staatenlos. Dann bekam sie den bundesdeutschen Personalausweis. Um in die<br />

Heimat zurückzukehren, musste Helene Zappa 1974 auf die deutsche Nationalität verzichten und<br />

wiederum die polnische beantragen. Bis die anerkannt ist, muss Frau Zappa fünf Jahre warten.<br />

Solange ist sie staatenlos und deshalb nur ein halber Mensch. Sie darf in keine<br />

Organisation eintreten, sie darf nicht wählen, sie darf nicht einmal ein Sparkonto bei der Staatsbank<br />

"PKO" einrichten. Immerhin bekommt sie 1.000 Zloty Sozialrente. In Jellow (Illnau) bei Opole,<br />

dem Heimatdorf, in das Helene Zappa zurückgekehrt ist, meidet sie die deutschstämmige<br />

Bevölkerung die künftige Polin, "Vaterlandsverräterin", riefen ihr die Bauern über die Straße zu, die<br />

1962 ihren Weggang erlebt hatten, aber bis heute vergebens auf die eigene Fahrkarte warten.<br />

Nur ein knappes Jahr blieb der katholische Pfarrer Edmund Kwapis, 44, im<br />

Hochsauerland. In seiner 1.000-Einwohner-Gemeinde wollte niemand etwas mit dem fremden<br />

Priester zu tun haben. Bei den Einheimischen hieß Kwapis "der Pole im Talar", die Kollegen<br />

sprachen von dem "Schlesier mit dem harten Akzent". Ältere Gemeindemitglieder ließen<br />

gegenüber dem Herrn Pfarrer durchblicken, er sei ja ganz nett, aber es wäre ihnen doch lieber,<br />

wenn ein Deutscher käme.<br />

Zwischen Kirche und Schule riefen ihm Kinder nach: "Der kommt aus Polen und Polen<br />

stinken", erzählt und Kwapis nachdenklich. "Ich hielt mich Jahrzehnte für einen richtigen<br />

Deutschen, habe hart für meine Ausreise kämpfen müssen und wollte mir in der Bundesrepublik<br />

eine neue Gemeinde aufbauen. Erst die Deutschen haben mich vom Deutschtum geheilt." In drei<br />

Monaten ist Pfarrer Edmund Kwapis mit Sondergenehmigung wieder polnischer Staatsbürger.<br />

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