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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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esichtigt. Das hatte es noch nicht gegeben, dass westliche Ärzte eine unserer Psycho-Kliniken<br />

besuchen durften. Diese neue KGB-Politik konnte nur einen Grund haben: der zunehmenden<br />

westlichen Kritik an der russischen Psychiatrie offensiv entgegen zu wirken. Und nun auch noch<br />

westdeutsche Journalisten! Am nächsten Morgen lernte ich die stern-Journalisten Robert Lebeck<br />

und Klaus Lempke kennen. Sie waren schon bei Morosow im Zimmer, <strong>als</strong> ich dazukam. Die<br />

Atmosphäre war gelockert, es gab Kaffee, Konfekt und Kekse. Das Chefzimmer, sonst chaotischunordentlich,<br />

war aufgeräumt wie selten. Morosow spielte souverän seine Rolle.<br />

Ich übersetzte: "Kein Bürger der Sowjetunion darf verurteilt werden, wenn er geisteskrank<br />

ist ... Der Patient hat das Recht, einen Gutachter abzulehnen ... Berichte über Zwangseinweisungen<br />

angeblicher politischer Dissidenten muss ich schlicht <strong>als</strong> Verleumdung bezeichnen ...". - Doch die<br />

westdeutschen Journalisten begnügten sich nicht mit solchen Glaubensbekenntnissen. Sie wollten<br />

General Pjotr Grigorenko sehen, den das "Serbskij"-Institut mehrm<strong>als</strong> für unzurechnungsfähig<br />

erklärt hatte. Auf diese Bitte, das merkte ich Morosow an, hatte er schon gewartet. Er war<br />

keinesfalls verblüfft und sagte: "Wir werden Sie anrufen." - Am nächsten Morgen ließ er die<br />

Journalisten wieder ins "Serbskij"-Institut kommen und begrüßte sie mit der Bemerkung: "Ich habe<br />

mir überlegt, wenn ich Ihre Zweifel ausräumen will, muss ich Ihnen Handfestes bieten." Mit diesen<br />

Worten überreichte er den beiden bedeutungsvoll eine Handvoll vergilbter Blätter: die Krankengeschichte<br />

des ehemaligen dam<strong>als</strong> siebzigjährigen Generalmajors Pjotr Grigorenko.<br />

Mit war klar: Das kann nur eine Fälschung sein. Denn nicht einmal ich <strong>als</strong> Oberarzt,<br />

geschweige denn andere Professoren des Instituts, hatten bis dahin eine Krankheitsgeschichte aus<br />

der vierten Abteilung gesehen, in der Grigorenko untersucht worden war. Als der Fotograf die<br />

Blätter ablichtete, und ich den Text übersetzte, bestätigte sich meine Vermutung: Grigorenkos<br />

Krankengeschichte mit all ihren Symptomen war teilweise wörtlich aus dem "Handbuch der<br />

Psychiatrie" abgeschrieben und mit persönlichen Lebensdaten des Gener<strong>als</strong> vermengt. Die<br />

Erklärung seiner Wahnvorstellung kennt jeder Student auswendig. Über diese Manipulation<br />

konnten auch die vergilbten Formulare nicht hinwegtäuschen, die nicht einmal aus dem "Serbskij"-<br />

Institut stammten. Die stern-Reporter, die <strong>als</strong> erste westliche Journalisten in unserem Institut<br />

waren, hatten nicht den Hauch einer Chance, die KGB-Fälschung zu durchschauen. Zumindest ist<br />

ihnen eines geglückt: Am nächsten Tag konnten Robert Lebeck für einen Augenblick Grigorenko<br />

in seiner Zelle in der psychiatrischen Klinik in Troikoje sehen, die 62 Kilometer von Moskau<br />

entfernt ist.<br />

Ich habe selber Jahre gebraucht, ehe ich begriff, wie die sowjetische Psychiatrie zu<br />

politischen Zwecken missbraucht wird. Der Besuch der westdeutschen Journalisten war für mich<br />

ein Schlüsselerlebnis, aus dem ich die Konsequenzen zog: Seit Oktober 1973 stand mein<br />

Entschluss fest, bei der ersten Gelegenheit aus der Sowjetunion zu fliehen. Ich bemühte mich, so<br />

viel wie möglich über das Schicksal der Dissidenten zu erfahren, die in psychiatrischen Kliniken<br />

festgehalten wurden.<br />

Am Schicksal des Gener<strong>als</strong> Pjotr Grigorenko lässt sich am besten verdeutlichen, wie der<br />

KGB Gesetze bricht, wie Zeugen in Gerichtsverfahren zu Lügen gezwungen werden, und wie<br />

gesunde Menschen mit Hilfe von Medikamenten gequält werden. Meine Recherchen in der<br />

Sowjetunion und die Materialien, die ich im Westen vorfand, ergeben zusammen ein lückenloses<br />

Bild. Hier der Fall des Pjotr Grigorenko:<br />

General Grigorenko war ein Held der Sowjetunion. Mit 32 Jahren wurde der Sohn armer<br />

ukrainischer Bauern Offizier. Er kämpfte an der Westfront gegen die Deutschen und wurde zwei<br />

Mal verwundet. Anschließend nahm er an dem Krieg gegen Japan teil. Grigorenko wurde zwei Mal<br />

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