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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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solche, die sich dafür hielten - in diesem lockeren Bier-Verbund ließ sich so mancher Wunsch nach<br />

Fortkommen ein Stückchen weiter vorantreiben.<br />

Im "Kessenicher Hof" <strong>als</strong>o ging regelmäßig die Post ab, und mit von der Rutschpartie<br />

waren einige wenige erlesene Hofschreiber, die sich auf absolute Diskretion verstanden. Die<br />

durften mit bechern, und ihnen wurden auch alkoholbedingte "Ausfallerscheinungen"<br />

nachgesehen. Egon Franke war der Boss und nicht nur hier. Ohne das Ja des Bundesministers für<br />

innerdeutsche Beziehungen lief in der Sozialdemokratie nichts. Ein SPD-Politiker konnte sich auf<br />

den SPD-Landeslisten für die Bundestagswahlen nur dann abgesichert fühlen, eine<br />

Gesetzesvorlage, vor allem zur Entlastung der Frauen, besaß nur dann eine Chance, wenn Egon<br />

sein Plazet gab. Und wenn Egon im "Kessenicher Hof" erschien, direkt aus den<br />

Kabinettssitzungen, mit seinen Eindrücken und Mutmaßungen, dann wurden die Ohren gespitzt,<br />

und das Schwatzen unterblieb einstweilen.<br />

Dam<strong>als</strong> waren Frauen in der Politik eigentlich nicht vorgesehen - allenfalls geduldet <strong>als</strong><br />

"Konzessionsdamen" am Rande mit Alibifunktion. In Bonn wurde jede Frau mit Mandat wie eine<br />

importierte Exotin taxiert, zuweilen auch behandelt. Es herrschte Krieg in dieser Stadt, der kalte,<br />

subtile in der Öffentlichkeit halbwegs versteckte Krieg zwischen Männern und Frauen. Eine große<br />

Koalition hatte sich gebildet, ohne Programm, nur auf der Grundlage von Vorurteilen: die große<br />

Koalition der Männer. Noch nie lief die parteiüber-greifende Verständigung so leicht. Man war sich<br />

darüber einig, dass Politikerinnen keine Weichen schalten und keine Perspektiven zu entwickeln<br />

imstande seien; dass es ihnen an Kompetenz fehlte. Wenn eine Frau den Weg nach Bonn geschafft<br />

hatte, wurde sie dort in selbst-zweiflerische Defensive getrieben. Die Angst, hier nicht zu bestehen,<br />

wurde zu ihrem Wegbegleiter.<br />

Bonn in den siebziger Jahren: Jahre der Ausgrenzung, Intoleranz, der<br />

Vernichtungsfeldzüge, der Diskriminierung Andersdenkender. Die Republik rüstete auf dem<br />

elektronischen und gesetzgeberischen Überwachungsstaat; der RAF-Terrorismus kulminierte;<br />

Berufsverbote <strong>als</strong> Ausdruck des Feind-Denkens in diesem Land.<br />

Wir schrieben das Jahr 1974. Die sozialliberale Koalition wurde unter Helmut Schmidt<br />

fortgesetzt. Die Aufbruchphase seines Vorgängers Willy Brandt ("wir wollen mehr Demokratie<br />

wagen") war durch dessen Rücktritt abgebrochen worden. Helmut Schmidt, der Kanzler (1974-<br />

1982) - und Marie Schlei wurde seine parlamentarische Staatssekretärin (1974-1976) später<br />

Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit (1976-1978).<br />

Doch zurück an den Tresen des "Kessenicher Hof". Ich traf Marie Schlei häufig dort,<br />

auch in anderen Kneipen und Bars. Sie hatte die ihr von den Männern zugewiesene Rolle begriffen<br />

und akzeptiert und sich in informellen Nischen eingerichtet. Ihr blieb - Staatssekretärin hin,<br />

Ministerin her - letzten Endes keine andere Wahl, <strong>als</strong> sich an die Bartheke zu setzen, wenn sie<br />

Aufmerksamkeit und Einfluss gewinnen wollte. Die Nischen waren und blieben die Einflusszonen.<br />

Als wir uns näher kannten, sagte sie mir einmal: "Ich musste mein Auskommen mit diesen<br />

Männern suchen und meine Ideen durchbringen. Da war mir jede Bar recht. Veränderungen gehen<br />

nur mit ihnen, und das wird noch sehr lange so sein."<br />

Frauen in der Politik interessierten mich dam<strong>als</strong> reichlich wenig. Das weibliche Geschlecht<br />

hatte in Bonn und auch anderswo im politischen Geschehen nicht viel zu bestellen, wenn es um die<br />

Macht ging. Und die faszinierte mich außerordentlich. Die Damen waren vorzeigbare Farbtupfer<br />

im dunkelgrauen Männer-Einerlei - ein Grüppchen von dreißig Frauen im Parlament, der prozentual<br />

geringste weibliche Anteil in der Nachkriegsgeschichte.<br />

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