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ERINNERUNGEN AN DIE BONNER REPUBLIK - VERLUST<br />

VON WIRKLICHKEIT IM MACHTGETTO. EIN MANN<br />

NAMENS HEINER GEIßLER<br />

Einst glich Bonn am Rhein einer dunstigen Käseglocke, unter der gewachsene<br />

Bindungen verkümmerten, ungezwungene Mitmenschlichkeit nahezu Ausnahmen waren.<br />

Das Politik-Milieu am Rhein schien geprägt vom Überlebenskampf jedes einzelnen: Ein<br />

Überleben mit Aktenzeichen im Fraktionszwang, mit Intrigen und Affären, mit<br />

Staatskarossen und Helikoptern, in Parteizentralen und Lobbyburgen, behütet von<br />

Staatssicherheitsbeamten und Schützenpanzerwagen, zwischen Stacheldrahtverhauen und<br />

Videokameras. Nichts kennzeichnet den Verlust von Wirklichkeit, die Deformation der<br />

eigenen Person deutlicher <strong>als</strong> das einstige schrille Politiker-Leben des CDU-<br />

Gener<strong>als</strong>ekretärs und Bundesministers Dr. Heiner Geißler. Ein Mann, der von sich sagte,<br />

in Bonn sei er schmerzfrei geworden. Ein Jesuiten-Schüler, der ohne knallharte<br />

Konfrontation nicht mehr leben konnte. Diagnose: suchtkrank. Ursache: Bonn - bis zu<br />

jenem Tag des 10. Dezember 2003 jedenfalls, an dem die Parteizentrale - das "Konrad-<br />

Adenauer-Haus" - gesprengt wurde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war auch die Ära<br />

Geißler Vergangenheit.<br />

Der Intrigant oder Die Bonner Operetten-Republik, Eichborn-Verlag, Frankfurt a/M 11. November 1986<br />

Das Konrad-Adenauer-Haus liegt an der Friedrich-Ebert-Allee, einer vierspurigen<br />

Ausfallstraße Richtung Bad Godesberg. Der schmucklose, zehnstöckige Beton- und Glaskasten<br />

grenzt an die britische Botschaft, vis-à-vis haben Polizeipräsident aber auch Sozialdemokraten ihre<br />

Bonner Heimstatt gefunden. Nachts wachen unübersehbar die knallig roten, fast drei Meter hohen,<br />

über zwölf Meter breiten CDU-Leuchtbuchstaben auf dem Dach der Parteizentrale über die<br />

provinziell schlummernde Bundeshauptstadt Bonn. Nur der auf dem Steigenberger Hotel postierte,<br />

blau-illuminierte Mercedes-Stern signalisiert von Ferne eher einvernehmliche Zweisamkeit.<br />

Weihnachtsfeier im Bonner Konrad-Adenauer-Haus, der Parteizentrale der CDU.<br />

Lametta geschmückte Tannenbäume, ein von Steigenberger arrangiertes Büfett für knapp 20.000<br />

Mark, schummrige Wohnzimmer-Beleuchtung, Akkuratesse in Gesicht und Zwirn.<br />

An diesem Abend suchen Menschen die Nähe anderer, denen sie in der Hauptstadt sonst<br />

nicht nah sein dürfen. Durch die herausgeputzte Weitläufigkeit bundesdeutschen<br />

Aufsichtsratsinterieurs, einem holzgetäfelten Verschnitt aus Kunst und Knoll, dröhnt gedämpft der<br />

Stereo-Sound, "Yes Sir I can buggy". Im Arbeitszimmer des Herrn Dr. Kohl (CDU-<br />

Parteivorsitzender 1973-1998) tanz das Adenauer-Sekretariat mit der abgeordneten Sicherheit aus<br />

dem Bundeskriminalamt in die Nacht hinein.<br />

Die meisten kennen sich schon recht lange, aber nur für den Dienstgebrauch. Dieser wird<br />

im Adenauer-Haus von Pietät und Takt diktiert. Keine hautengen Blue-Jeans, klein Blouson,<br />

allenfalls zart aufgetupftes Make-up mit blass bemalten Lippen. Vergilbte Benimm-Regularien<br />

kleinstädtischer Tanzschulen prägen unausgesprochen Umgang und Beritt, unterscheiden<br />

feinsäuberlich zwischen Empfindung und Empfindsamkeit, zwischen Schüchternheit und<br />

Verklemmtheit.<br />

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