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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Auf der Bühne seines Einmannkabaretts genoss Dietrich Kittner unter Ausschluss der<br />

Medien-Öffentlichkeit Narrenfreiheit, selbst dann, wenn er mit der Sozialdemokratie nicht lange<br />

zauderte und führende Genossen unter gleißendem Scheinwerferlicht seinem Publikum <strong>als</strong><br />

"spezielle Charaktere des Aufstiegs" ausleuchtete - Abend für Abend vors Schienbein trat. Was<br />

SPD-Funktionäre ihrem Parteimitglied Kittner auf der Bühne noch konzedierten, dazu waren sie<br />

auf einer von Kittner organisierten Flugblatt- und Unterschriften-Aktion nicht mehr bereit.<br />

Berührungs-Ängste mit Kommunisten. "Verträge ratifizieren! Rechtsentwicklung stoppen",<br />

verlautbarte es da. - Die Folge: Partei-Rausschmiss.<br />

Dam<strong>als</strong> bestimmte die Neue Ostpolitik von Egon Bahr (Bundesminister für besondere<br />

Aufgaben 1972-1974) "den Wandel durch Annäherung" die Ostverträge mit Polen und der<br />

damaligen DDR. Verständigung, ein neuer Umgang der Menschen in beiden Systemen war gefragt.<br />

Nicht jedoch so an der Parteibasis zu Hannover. Der Widersinn jener sozialdemokratischen Jahre<br />

mit ihren Öffnungs-Gebaren gen Osten mit ihrer geradezu traumatischen Phobie vor<br />

vermeintlicher kommunistischer Unterwanderung - dafür sollte mit dem Fall Kittner ein populäres<br />

Parade-Beispiel statuiert werden. Stein des Anstoßes im politisch penibel sortierten Deutschland:<br />

auch ein paar westdeutsche Kommunisten hatten gewagt, sich per Unterschrift auf dem Kittner-<br />

Flugblatt öffentlich für die Entspannungspolitik der Ära Brandt/Scheel (1969-1974) zu bekennen.<br />

Es blieb dem niedersächsischen Verfassungsschutz vorbehalten, eine Handvoll Kommunisten<br />

unter den 1.500 Menschen ausfindig zu machen, die ihre Unterschrift gegeben hatten. Es waren<br />

erste Schnüffel-Aktionen, die wenig später im Überwachungsstaat der Berufsverbote eine ganze<br />

studentische Jugend mundtot zu machen glaubte.<br />

Mit dem Damoklesschwert im Nacken - "denke an deine Parteikarriere, grenze dich<br />

rigoros von Kommunisten und ihren Organisationen ab" - zwang der SPD-Apparat in Hannovers<br />

Odeonstraße seine Mitglieder ihren Namen auf dem Kittner-Flugblatt zurückzuziehen. Willy<br />

Brandt (Bundeskanzler 1969-1974): "Wir wollen mehr Demokratie wagen.") Ausnahmslos alle<br />

kuschten, keiner will da wirklich seinen Namen gegeben haben. Friedhofsruhe. Wäre Kittner nicht<br />

Kittner, dann hätte er dasselbe getan. Nur ging es ihm, wie er beteuerte, "um Glaubwürdigkeit".<br />

Auch wolle er sich ausgerechnet von diesen "satten und kugelrunden SPD-Funktionären nicht zum<br />

Toren" machen lassen. Denn nach Thomas Mann (*1875+1955) ist der "Antikommunismus die<br />

Grundtorheit des 20. Jahrhunderts".<br />

Kittner war zeitlebens ein Mann des Protests und Provokation. Viel Kraft, Energie - auch<br />

so manche Federn hat er dabei lassen müssen. So Mitte der sechziger Jahre, <strong>als</strong> er auf offener<br />

Straße in Hannovers Innenstadt mit Stahlhelm und Gasmaske festgenommen wurde - eine Aktion,<br />

die er <strong>als</strong> Widerspruch gegen die Notstandsgesetze verstanden wissen wollte.<br />

Seinen Höhepunkt an Einfluss und Popularität gewann er <strong>als</strong> Mitinitiator der Aktion<br />

"Roter Punkt" in Hannover gegen Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr in den Jahren<br />

1969-1973. Der Klub Voltaire in der Nicolaistraße war Kittners Domizil, praktisch wohnte er dort<br />

gleich neben der Theke im Hinterstübchen. Hier im Zentrum der Außerparlamentarischen<br />

Opposition in Niedersachsen ging es Kittner und Kumpanen um die Schaffung eines kulturellen<br />

Ortes einer neuen linken Gesprächs- und Streitkultur.<br />

Der Klubname vermittelte ein Gedenken an den französischen Philosophen und<br />

Schriftsteller Voltaire, der mit bürgerlichen Namen François-Marie Arouet (*1694+1778) hieß. Er<br />

war einer der tragenden Initiatoren der französischen Aufklärung, außerdem Mitarbeiter an der<br />

großen "Enzyklopädie" - ein Anhänger des Deismus. (Gehen von Gott aus, Schöpfer des<br />

Universums aus. Glauben aber, dass Gott keinen Einfluss auf die Geschehnisse auf Erden hat).<br />

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