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elegen, wie kurzatmig und perspektivlos die Wirtschaftspolitik dieser Stadt angelegt ist. Doch<br />

Berlin leistete sich einen liberalen Wirtschaftssenator, der brisante Expertisen, wie die der Baseler<br />

Prognos AG (Kostenpunkt: 337.000 Mark), erst einmal monatelang unter Verschluss hält. Einfach<br />

deshalb, weil ihm das Prognos-Ergebnis mehr <strong>als</strong> unangenehm ist. Und wenn schon mal öffentlich<br />

debattiert wird, dann bestimmt ein seltsamer Kammerton die Diktion. Eine verquere Mischung aus<br />

Wehleidigkeit und Unvermögen saß da auf den Parlamentsbänken im Berliner Abgeordnetenhaus.<br />

Gegensätze zwischen SPD/FDP Senat und einer ausgelaugten, über Jahre vermiefte CDU-<br />

Opposition zerflossen bis zur Unkenntlichkeit; sind sie nicht doch alle Berliner, stolz auf diese<br />

Stadt, ab und zu auch trübsinnig an der Mauer, "die oft auch die Grenze ihres Horizonts ist",<br />

bemerkt Michael Pagels (DGB-Vorsitzender 1982-1990). Berlins einsamer Aufstieg zur Provinz.<br />

Wie Steuermilliarden verschleudert werden, beweist ein Forschungsbericht der<br />

Technischen Universität (TU) Berlin:<br />

• Fast 30 Prozent des gesamten Industrieumsatzes entfällt auf die Herstellung von nur<br />

zwei Produkten. Zigaretten und Kaffee. Durch rationelle und hoch automatisierte<br />

Produktionsverfahren sind dafür aber nur 2,5 Prozent (5.000) aller in der Berliner<br />

Industrie beschäftigten Arbeitskräfte notwendig. Einst im Jahr 1977 wurde diesen<br />

beiden Branchen eine Umsatzsteuerpräferenz in Höhe einer viertel Milliarde Mark<br />

gewährt. Das bedeutet: Für jeden Arbeitsplatz brachte der Staat 110.000 Mark auf.<br />

• Im Jahre 1962 erhielt die Zigarettenindustrie in Berlin mit ihren 4.300 Beschäftigten<br />

genauso viel Umsatzsteuervorteile wie die gesamte Berliner Elektroindustrie mit ihren<br />

112.500 Arbeitnehmern. In den ersten zehn Jahren ihrer Kapazitätsverlagerung nach<br />

Berlin konnten die fünf Zigarettenkonzerne etwas mehr <strong>als</strong> eine Milliarde Mark nur<br />

an Umsatzsteuerpräferenzen einstreichen. Damit hätten sie beispielsweise ihre Löhne<br />

und Gehälter (300 Millionen Mark) finanzieren können, wenn sie diese Kosten nicht<br />

schon über ihre Zigarettenpreise kalkuliert hätten.<br />

• Seit dem Jahre 1977 ist Berlin mit 37 Prozent Deutschlands größter Kaffeeplatz.<br />

Durch geschickte steuerrechtliche Firmenkonstruktionen verdienen die beiden<br />

großen Kaffeeröster gleich zweimal: an der Hersteller- und an der<br />

•<br />

Abnehmerpräferenz.<br />

Auch für die Süßwarenbranche erwies sich Berlin <strong>als</strong> attraktiver Standort. Der<br />

Steuerzahler musste ihre 522 Arbeitsplätze allein im Jahre 1977 mit 55 Millionen<br />

Mark subventionieren - pro Arbeitsstelle mit 106.000 Mark<br />

Die Philosophie der Berlin-Förderung, so das Gutachten: "Je kapitalintensiver die<br />

Produktion, das heißt je geringer der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft ist, desto größer der<br />

Steuervorteil." Ob die Baseler Prognos Studie oder die Expertise Berliner Wissenschaftler:<br />

Unabhängig voneinander prophezeiten sie einen weiteren Rückgang der Industriebeschäftigung. In<br />

Zahlen: Danach werden bis 1985 nochm<strong>als</strong> 28.000 Arbeitsplätze vernichtet sein.<br />

Bereits vor drei Jahren kritisierte der einstige Vorsitzende der IG-Metall, Eugen Loderer<br />

(*1920+1995), "die kurfristigen unternehmerischen Interessen und die damit verbundenen<br />

Subventionsmentalitäten". Ein Memorandum der Berliner Gewerkschaften aus den späten<br />

siebziger Jahren appellierte eindringlich an den Senat, die Struktur-Probleme anzupacken. Die<br />

DGB-Forderung: "Steuerliche Vorteile sollen künftig nur noch dann gewährt werden, wenn<br />

Arbeitsplätze erhalten bleiben und möglichst neue dazukommen. Den Unternehmen weiterhin<br />

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