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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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zählen nämlich quasi zur Nachhut der "Frankfurter Schule". Ihnen gehen heute noch Adorno-,<br />

Horkheimer- und Marcuse-Zitate auf dem Acker spielerisch über die Lippen, so <strong>als</strong> würden sie den<br />

praktischen Nachweis für die Richtigkeit der Kritischen Theorie liefern wollen. Etwa die Marcuse-<br />

Überlegung: ein neues Verhältnis zur Natur sei ein zentrales Moment der "Umwertung aller<br />

Werte".<br />

Ihr Auszug aufs Land beruht im wesentlichen auf zwei Eingeständnissen. Zum einen:<br />

"Kein sozialistischer Ansatz in den letzten Jahren ist in nennenswerterem Umfang über den<br />

zumeist intellektuellen Umkreis ihrer Schöpfer hinausgegangen", erklärt Erich. Zum anderen: Es<br />

war die Linke, die zwar stets von Massenpolitik und Massenbewegung, von Bewusstseinsprozessen<br />

und Proletariat redete, in Wirklichkeit aber in ihrem eigenen Theoriedunst erstickt, weil sie unfähig<br />

war, einen praktischen Bezug zu ihrer konkreten Utopie herzustellen, und deshalb kläglich<br />

scheiterte. Eine Linke, die dem elitären Irrglauben verfiel, allein mit Rationalität und Aufklärung sei<br />

die Hauptarbeit auf dem Wege zu einem "neuen Menschen" schon geleistet, und dabei<br />

Lebensgefühle und -zusammenhänge derer verschmähte, die sie eigentlich mit ihrer Politik<br />

erreichen wollte. Und eine Linke, die offenkundig nicht merkte, dass nicht sie die Institutionen,<br />

sondern die Institutionen sie verändert haben.<br />

Volker wollte nicht länger mit einem hohen politischen Anspruch durch die Mensa laufen.<br />

Er hatte den Studenten etwas über egalitäre und soziale Bewegungen oder Selbstorganisationen zu<br />

erzählen, quasi einen auf Idealismus zu machen, um in Wirklichkeit sein ganzes Leben darauf<br />

auszurichten, nur in der Universitätshierarchie hochzukommen. Und Erich spürte in den<br />

Lehrveranstaltungen seine Machtlosigkeit. Die Hochschule war für ihn kein Freiraum mehr, kein<br />

Ort der offenen, geistigen Auseinandersetzung, sie hatte für ihn die Gestalt eines<br />

Durchlauferhitzers. Immer mehr Studenten strömen in die Hochschulen, um in immer kürzerer<br />

Zeit mit irgendeiner Qualifikation ab gefrühstückt zu werden. Eine regelrechte Verschulung von<br />

Vorlesungen hat sich eingeschlichen - ausgelöst durch Erlasslawinen der Kultusbürokratie. Die<br />

Universität <strong>als</strong> Lernfabrik, <strong>als</strong> Zuliefererbetrieb für gewisse theoretische Bedürfnisse in der<br />

Gesellschaft. Erich: "Okay, jedes Jahr ein Streik, bei dem nichts rauskommt, den man routinemäßig<br />

abhaken kann. Aber sonst rollt die politische Entwicklung der Anti-Kernkraft-, der Ökologie- und<br />

Alternativbewegungen über die Hochschulen hinweg. Ich sah keinen Sinn mehr darin, mich <strong>als</strong><br />

aufgeklärter linker Mensch in diesem Beruf zu verschleißen, Soziologen zu produzieren, die dann<br />

irgendwann doch ein Arbeitslosendasein fristen. Dann lasse ich doch den ganzen<br />

Kathedersozialismus und versuche meinen eigenen Kram zu machen, indem ich meine<br />

Vorstellungen und Ideen wirklich umsetzen kann ...".<br />

Erich und Volkers Auslassungen sind von vielen städtischen Freunden missverstanden<br />

worden. Manche spotteten über ihren Rückzug ins Private, andere glaubten gar, ihr Verhalten sei<br />

gänzlich unpolitisch und nur durch resignative Anflüge erklärlich. Doch beides ist f<strong>als</strong>ch. Wer sich<br />

lediglich zurückzieht, der kann auch wiederkommen. Erich, Irene, Hilde und Volker denken aber<br />

nicht im entferntesten daran, eines Tages wieder anzuknüpfen, wo sie 1975 aufhörten. Sie zogen<br />

sich nicht zurück, sie brachen endgültig mit dieser Gesellschaft. Ein Bruch, der irreparabel ist.<br />

Ihnen ist absolut klar, keiner wird in seinem alten Beruf jem<strong>als</strong> den Anschluss wieder finden<br />

können. Selbst wenn er es nach Jahren reuig wollte, der Staat würde seinen Beamtennachwuchs<br />

wohl zuallerletzt aus linksorientierten Landkommunen rekrutieren. Ihr Einschnitt bedeutet nicht<br />

nur den Endpunkt einer bürgerlichen Karriere. Sie haben sich ebenfalls vom viel gerühmten<br />

sozialen Netz in diesem Lande losgesagt.<br />

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