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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Lettern ihren doppelsinnigen Leitspruch gepinselt: "Survivre ou mourir"-überleben oder sterben -<br />

heißt es da lapidar.<br />

Gewiss hat sich das auch die einzige selbstständige Fischerin der Region, die 37jährige<br />

Scarlett Le Core gesagt, <strong>als</strong> sie den Kampf gegen die fischende Männerwelt aufnahm. Schon ihr<br />

Vater fuhr zur See, schon <strong>als</strong> sechsjähriges Mädchen begleitete sie ihn bei Wind und Wetter,<br />

säuberte Netze wie Reusen, schleppte Kisten zur Auktion. Verständlich, dass auch Scarlett<br />

Fischerin werden wollte, "weil ich praktisch auf See geboren wurde, und die Freiheit auf Meer<br />

unbeschreiblich ist". Nur - sie durfte nicht. Zehn Jahre vergingen. Kochen lernte sie, servierte in<br />

Bars Weine, puderte in Kosmetikläden betuchten Damen zartes Rouge auf die Wangen, heiratete,<br />

bekam drei Kinder.<br />

Erst die Frauen-Aufbruchjahre in den Siebzigern ließen Scarlett trotzig werden. Zunächst<br />

ging sie heimlich zur Fischerschule, bestand die Prüfungen. Nunmehr kaufte sie sich demonstrativ<br />

ein Boot. Endlich wurde ihr beruflicher Wunschtraum Wirklichkeit. -Sarclett fuhr allein zur See. Sie<br />

erinnert sich: "Neid und Frauen-Feindlichkeit schlugen mir anfangs entgegen, Häme und auch<br />

Spott." Naheliegend war es, dass sich jener Argwohn auch auf ihren Mann Jean-Pierre übertrug. -<br />

Einen Großfischer-Matrosen, der von sich aus Haushalt, Hausputz und Kinder-Obhut mit Frau<br />

Scarlett teilt, sobald er an Land weilt. Er, der Jean-Pierre, sei ein Butt ohne Flossen, raunte es durch<br />

die Gassen von Guilvinec. Eben kein in der Fischertradition stehender Familienvater, lässt gar sein<br />

Weib auf hoher See, Kinder mit Au-pair-Mädchen allein zu Hause, Essen nur auf der Tiefkühltruhe<br />

und so weiter.<br />

Nur ganz allmählich konnten sich die mannbedachten Seeleute von Guilvinec damit<br />

abfinden, dass neben Scarlett mittlerweile auch noch fünf weitere Frauen mit ihren Booten -<br />

allerdings mit Matrosen - bis zu fünf Meilen von der Küste entfernt auf Fischfang gegen. Für<br />

Scarlett und Kolleginnen ist ihre Unabhängigkeit ein unveräußerbares Lebensmerkmal ihres<br />

Daseins - beruflich wie privat.<br />

Von April bis Oktober eines jeden Jahres fahren sie schon morgens um 5 Uhr hinaus aufs<br />

Meer, kehren nach vier Stunden in den Hafen zurück, verkaufen die soeben gefangenen Fische.<br />

Mittags kocht Mutter Scarlett zu Hause, macht Einkäufe in den Supermärkten. Gegen 13 Uhr<br />

präpariert sie die Netze für den nächsten Fischfang. Dann tuckert Scarlett wieder raus, um für die<br />

Auktion um 17 Uhr frische Quappen, Langusten oder Seezungen anbieten zu können. Nach dem<br />

Abendessen gegen 20 Uhr kurvt sie mit ihrem klapprigen Renault-Kombi nochm<strong>als</strong> in den Hafen,<br />

erneut treibt sie es auf See - oft bis nachts um eins. Sie sagt: "Ich will um jeden Preis meine<br />

Selbstständigkeit. Eine Stempeluhr wie in den Fabriken wäre Quälerei für mich. Dafür arbeite ich<br />

bis zum Umfallen. Wir Frauen rackern ohnehin drei Mal so viel wie die Männer. Ein alter Fischer<br />

kam letztens an mein Boot und sagte zu mir: " Wir wussten eigentlich ja schon immer, dass du eine<br />

gute Fischerin bist' - Da hatte ich ein paar Sekunden Gänsehaut."<br />

Nur in diesem Jahr, der schwierigsten Fischer-Krise überhaupt, ist Starletts<br />

Tagesrhythmus arg durcheinander geraten, Handlungsbedarf besteht, Frauen-Solidarität ist<br />

angesagt. Verständlich, dass es Madame Scarlett keine ruhige Minute auf See oder zu Hause hält.<br />

Ihre Kinder brachte sie in solch bewegten Zeiten vorsorglich bei ihrer Mutter unter. Als Vize-<br />

Präsidentin des örtlichen Komitees "Femmels de Marins Pêcheurs" reiste sie kreuz und quer durch<br />

die Region, trommelte verstummte Fischer-Frauen zusammen.<br />

"Frauen, seid nicht kleinlaut", sagt Scarlett zu ihren Leidensgefährtinnen, "wir sind stärker<br />

<strong>als</strong> die Männer. Unser Kampf beginnt erst jetzt." Zunächst waren es nur vierzig, dann stieg ihre<br />

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