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Download - Baltische Historische Kommission

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177<br />

Bemühung, sie zu heurathen. Aber den Tag vor der Hochzeit ließ die Braut unterm<br />

Tanz einen Seufzer fliegen, der das Gehör und den Geruch zugleich rührete. Der<br />

Bräutigam gewann einen Eckel an seiner Braut; und dieser schwache Wind löschte<br />

seine Flamme auf einmal aus. Der alte Parlamentsrath besuchete diese verlassene<br />

Verlobte seines Schreibers, und fand sie so angenehm, daß er sich mit ihr<br />

vermählete. Sie wandte hierauf eine ungemeine Sorgfalt an, diejenige Aufführung zu<br />

erlernen, welche ihr jetziger Stand erfoderte. [...] Nach seinem tödtlichen Hintritte<br />

wollte sie nicht länger in einem Lande bleiben, wo ihre Herkunft bekannt war. Sie<br />

begab sich nach Paris: wo ihre Schönheit, ihr Verstand und ihr Reichthum gar bald<br />

hervorstachen. Der Marschall de l’Hopital, dessen Haushaltung in Abnahme geraten<br />

war, bewarb sich um sie; und sein Stand gabe ihm vor allen anderen Freyern den<br />

Vorzug. Er verheurathete sich mit der Parlamentsräthin, brachte aber ihr Vermögen<br />

durch, ehe er starb. Nach seinem Tode hatte sie noch einige Reize, welche sie so<br />

wohl anwandte, daß Johann Kasimir, Abt von St. Germain, sich in der Stille mit ihr<br />

vermählete.“ 8<br />

Gadebuschs übernimmt den Spott des französischen Textes, der sich gegen die Anmaßungen<br />

der „Marschallin“ richtet, nach ihrer Heirat mit dem abgedankten König<br />

sogar noch als Königin tituliert zu werden und mahnt mit der Aufnahme der<br />

Anekdote in die ‘Jahrbücher’ an, einen geziemenden Abstand zwischen den Ständen<br />

aufrechtzuerhalten.<br />

In den ‘Jahrbücher[n]’ verbindet Gadebusch politische Muster mit einer konkreten<br />

sozialen Konzeption, Geschichtsbewußtsein und politischer Erziehungsarbeit der<br />

Zeitgenossen, um so einen ständischen Regierungsorganismus - geschichtlich<br />

begründet - als die natürlichste Regierungsform für Livland zu postulieren. Im Sinne<br />

der pragmatischen Geschichtsschreibung ist er bemüht, die ständische Vergangenheit<br />

des Landes aufzuklären und die ältesten Verfassungen auf ihren Ursprung<br />

zurückzuführen. Charakteristisch ist sein retrospektiver Blick auf zeitgenössische<br />

politische Entwicklungen: will man Gadebuschs Bewertung der Tagespolitik<br />

erfassen, so muß man diese aus seinen Darlegungen historischer Zustände<br />

herausschälen. Vielfach erklärt er die sozialen Verhältnisse der Vergangenheit auch<br />

von der zu seiner Zeit erreichten Stufe der Landeshoheit aus, obwohl er dieses<br />

Vorgehen in der Theorie als unhistorisch ablehnt, da sich der Historiker „in diese<br />

Zeit hinein zu denken“ habe 9 .<br />

Aus der livländischen Geschichte kann Gadebusch ständische Ungleichheiten und<br />

Unterschiede nicht ohne weiteres rechtfertigen, sondern nur anhand rationaler Be-<br />

8 Gadebusch, Jahrbücher III2, § 45, S. 71f. Anm. c); Lettres historiques et galantes du Madame du<br />

Noyer Contenant différentes Histoires, Aventures, Anecdotes curieuses et singulieres, Nouvelle Édition,<br />

London 1757, Bd. 1, S. 263-67.<br />

9 Gadebusch, Jahrbücher I1, § 96, S. 308, Anm. x).

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