02.11.2013 Aufrufe

Download - Baltische Historische Kommission

Download - Baltische Historische Kommission

Download - Baltische Historische Kommission

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

81<br />

4.) Das dokumentarische Gedächtnis: ‘Livländische Jahrbücher’<br />

Geht man von der These aus, nach der die Gelehrten - und unter ihnen besonders die<br />

Historiker - des 18. Jahrhunderts mit ihren Schriften die Einstellungen zur<br />

Gestaltung der Zukunft einer Nation oder eines Volkes entscheidend geprägt haben,<br />

ist es von Interesse, Gadebuschs Geschichtskonzept auf diese Zielsetzung hin zu<br />

beleuchten. Als Folge seiner Montesquieu-Rezeption, nach der er den Rechtsstand<br />

eines jeden Gemeinwesens als historisch gewordene und angemessene Verfassung<br />

betrachtet, entwickelt er ein Konzept, nach dem jedes Gemeinwesen und jedes Volk 1<br />

auf diejenige Verfassung und Kultur Anspruch hat, die am besten seiner jeweiligen<br />

historischen, ethnischen und geographischen Eigenart entspricht. Mit seinem ‘De<br />

l’esprit des lois’ hatte Montesquieu die Diskussion über nationale Charaktere<br />

methodisch auf eine neue Grundlage gestellt. Der Geist einer jeden Nation ist ihm<br />

zufolge nur aus dem Geist ihrer Gesetze erfaßbar, die Gesetze wiederum müssen mit<br />

den Beschaffenheiten des jeweiligen Landes übereinstimmen. So wird die<br />

Konstitution einer nationalen Gesellschaft als Resultat des komplexen<br />

Zusammenwirkens einer Vielzahl materieller und ideeller Faktoren begriffen, die die<br />

Voraussetzung für die Begründung eines nationalen Individualismus schafft, der<br />

jeder Gesellschaftsform aus der historischen Perspektive eine gewisse<br />

Eigenberechtigung zugesteht. Aus dieser Prämisse ergeben sich für Gadebusch die<br />

Notwendigkeit einer Abkehr von der Beschäftigung mit der Universalgeschichte, der<br />

er sich in Königsberg gewidmet hatte 2 , und die der programmatischen Hinwendung<br />

zu dem kleinen Schauplatz Livland. Die Konzentration auf eine einzelne Region,<br />

deren rechtliche Struktur nicht ungestört gradlinig wachsen konnte, da sie im Laufe<br />

der Jahrhunderte unter wechselnden Obrigkeiten und Herrschaftsformen gestanden<br />

hat, soll systemstabiliserend wirken und Mittel bereitstellen, die Machtverteilungen<br />

der 60er Jahre des 18. Jahrhunderts zwischen der Zarin und den livländischen<br />

Ständen zu bewahren.<br />

Bevor Gadebuschs Geschichtskonzept der russischen Ostseeprovinz Livland dargestellt<br />

wird, das sich im Spannungsfeld von Traditionen der Reichspublizistik, nach<br />

der das Reichsstaatsrecht mittels der Translationstheorie aus dem Altertum<br />

1 Der Begriff „Volk“ wird von Gadebusch in erster Linie im geographischen, nicht im staatsrechtlichen<br />

Sinne verstanden und hat keine verfassungsrechtliche, sondern eine geschichtliche Bedeutung;<br />

oft wird synonym gebraucht: „Nation“, im Sinne eines kollektiven Vorstellungsraumes und als politisches<br />

Ziel; der Begriff „Staat“ erscheint in zwei Bedeutungsebenen: 1.) bezogen auf ständische<br />

Lagen: (Zu-)Stand, Aufwand und Amt, Hofstaat, 2.) als Synonym zu „Gesellschaft“.<br />

2 Die 1775 verbrannte Reichshistorie, vgl. Gadebusch, Bibliothek, Bd. 1, S. 383.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!