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255<br />

und Gesetzen skeptischen Lehre, befindet sich Gadebusch in der zweiten Hälfte des<br />

18. Jahrhunderts in einer Minderheitsposition und gerät überdies in Kollision mit den<br />

vernunftrechtlich geprägten Ansichten der Zarin. Die Vorstellung der Richterfreiheit<br />

konnte Gadebusch bei Montesquieu nachlesen, der die Notwendigkeit betonte, die<br />

Richter aus dem Stande des Angeklagten zu erwählen und ständischen Gerichten<br />

weitgehende Vollmachten einräumte 92 . Obgleich bei Montesquieu die Frage der Gesetzgebung<br />

eine größere Rolle spielt, lassen sich drei Elemente von Gadebuschs<br />

Lehre bei ihm ansatzweise finden: das Mißtrauen einer allgemeinen Gesetzgebung<br />

gegenüber, die Bevorzugung des Ständestaates und die Forderung nach der Freiheit<br />

eines ständischen Richters. Die Forderung, es müsse zumindestens einer der<br />

Richtenden aus dem gleichen Stand wie der Angeklagte sein, um die Motive für ein<br />

Verbrechen verstehen zu können, findet sich auch im ‘Nakaz’ der Zarin Katharina<br />

II., die allerdings in diesem Zusammenhang ständische Begrifflichkeiten meidet und<br />

von der „condition“ des Angeklagten und „de ses pairs“ spricht 93 . Ihre Vorstellung<br />

von den Ständen („les états“) breitet Katharina II. in den Kapiteln 15 und 16 aus: die<br />

Bauern bilden den grundlegenden Stand, der durch seine Arbeit alle anderen ernährt,<br />

die Zugehörigkeit zum Adel - zu einem Ehrentitel gewandelt - ist sowohl durch<br />

„usage“ begründet als auch durch besondere Tugendhaftigkeit erwerbbar, die sich in<br />

„l’amour de la patrie“ und besonderer Treue dem russischen Souverän gegenüber<br />

ausdrückt 94 . Zu diesen beiden Ständen tritt der mittlere Stand („l’état mitoyen“), der<br />

die Bewohner der russischen Städte umfaßt, einen geistlichen Stand gibt es nicht.<br />

6.4.3.3.) Die „Prozeßsucht“ der Livländer<br />

Eine nicht nur bei Gadebusch häufig wiederkehrende Klage ist diejenige über die<br />

Ineffizienz und Weitläufigkeit des livländischen Gerichtswesens und die Neigung<br />

der Livländer, Klagen bei verschiedenen Instanzen zu führen. Gadebusch wendet<br />

sich gegen ein weitverzweigtes Gerichtswesen, da es die Untertanen zu<br />

zeitaufwendigen und kostenintensiven Klagen ermutige, was dem „gemeinen<br />

Besten“ Schaden zufüge, wie er mit einem extremen Beispiel belegt: 1753 hatte ein<br />

Dorpater Goldschmied, nachdem er vom Rat angewiesen worden war, eine<br />

Verkaufsbude von einem bestimmten Platz zu entfernen, gegen diesen Spruch<br />

92 Vgl. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, Buch XI, Kap. 6, (übs. u. hg. von E. Forsthoff, Tübingen<br />

1992, Bd. 1), S. 223-225.<br />

93 Vgl. Nakaz, Kap. 9, § 127. In: PSZ, Bd. 18, S. 210, Nr. 12949.<br />

94 Vgl. Nakaz, Kap. 15, § 361-363. In: PSZ, Bd. 18, S. 257, Nr. 12949.

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