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Download - Baltische Historische Kommission

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Pietisten, die die Praxis des Glaubens zum Gegenstand ihrer Reflexion erhoben,<br />

sucht Gadebusch nach der Eignung der auf die Welt bezogenen Lehre des<br />

Protestantismus zur ideologischen Steuerung und Legitimation menschlicher<br />

Tätigkeiten und hebt die psychologisch wirksamen theologisch-sittlichen<br />

Rahmenbedingungen hervor, die eine innerweltliche Ordnung für die livländische<br />

Ständegesellschaft garantieren können. Der Akzent des Christentums wird unter<br />

Beibehaltung des Glaubens an Unsterblichkeit und himmlische Seligkeit auf einen<br />

gesellschaftlichen Zweck - die Sicherung der Moralität - gelegt, ohne die Religion zu<br />

einer schlichten Moralphilosophie zu verwässern. Drängende theologische Probleme<br />

sind die Frage nach der Erbsünde und nach der Theodizee. Die Vorstellung einer<br />

Intervention Gottes in den Ablauf der Geschichte verliert bei Gadebusch an Bedeutung<br />

und wird aus einem großen Teil des Lebens- und Weltbildes verdrängt. Gott<br />

wird als geistiges Wesen begriffen, das zwar kraft seiner „Fürsehung“ mit Macht,<br />

Weisheit und Güte das Weltall lenken kann, auf der Erde herrschen jedoch Naturgesetze<br />

vor. Gottes „Fürsehung“ bewirkt, daß Menschen in ihrem Glauben standhaft<br />

bleiben 10 . In der ihm vorliegenden landesgeschichtlichen Literatur fand Gadebusch<br />

eine Vielzahl von Wundergeschichten, in denen übernatürliche Kräfte als Erklärung<br />

historischer oder naturwissenschaftlicher Phänomene dienten. In den ‘Jahrbücher[n]’<br />

führt er einige an, um sie zu entmythologisieren, versucht, „vernünftige<br />

Erklärungen“ zu finden und dem Leser die Unsinnigkeit anderer Deutungen<br />

begreiflich zu machen, wie z.B. bei dem Revaler „Gespensterbrunnen“, dessen<br />

Auswirkungen er naturwissenschaftlich zu deuten versucht 11 . Hiernach wollte eine<br />

Magd aus einem städtischen Brunnen Wasser schöpfen und sah in diesem kochendes<br />

Wasser. Als sie den an einer Stange befestigten Eimer heraufziehen will, zerbricht<br />

diese, so daß der Eimer auf den Boden des Brunnens fällt. Ein herbeigerufener<br />

Handwerksgeselle läßt sich an einer Stange in den Brunnen herab, um den Eimer<br />

heraufzuholen, spreizt aber auf halber Strecke Arme und Beine von der Stange und<br />

stirbt lautlos. Der herbeigerufene Meister ist der Meinung, sein Geselle müsse den<br />

Halt verloren und sich durch den Sturz auf den Grund des Brunnens das Genick<br />

gebrochen haben und steigt selber in den Brunnen. Genau wie der Geselle spreizt er<br />

Arme und Beine von sich und stirbt ebenfalls. Durch die zwei Todesfälle gewarnt,<br />

steigt als nächster ein mit einem Seil gesicherter Fuhrmann in den Brunnen hinab,<br />

10 Vgl. Gadebusch, Bibliothek, Bd. 3, S. 72.

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