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202<br />

Christina ein und erzwang vom Rat Bulls endgültige Aufnahme in die Große Gilde.<br />

1647 erließ der Rat aus bevölkerungspolitischen Erwägungen ein generelles Patent<br />

über die Akkulturation von Esten, durch das das Verfahren der Aufnahme von Esten<br />

in die Dorpater Bürgerschaft geregelt wurde 90 . Abgesehen von dieser Schilderung<br />

bleibt die Geschichte der Esten und Letten in Gadebuschs Schriften eine anonyme<br />

Geschichte ohne das Wissen um Individuen.<br />

Im alltäglichen Leben paßte sich Gadebusch den Gewohnheiten seiner Umgebung an<br />

und versuchte, fortschrittliches soziales Denken mit der leibeigenschaftlichen Praxis<br />

seines Alltags zu verbinden. 1760 erwarb er von dem Landgerichtsassessor Reinhold<br />

Johann von Rosenkampff selbst einen „Erbkerl“ (Leibeigenen) 91 , dem er 1782 einen<br />

für die ganze Familie gültigen Freibrief ausstellt. In ihm legt er besonderen<br />

Nachdruck auf die Feststellung, er habe den Sohn des „Erbkerls“ stets als freien<br />

Menschen betrachtet und ihm verschiedene Wohltaten zukommen lassen („als einen<br />

freyen Menschen bisher erzogen, zur Schule gehalten, und beständig an meinem<br />

Tische gehabt“) 92 . Gleichzeitig legt er fest, daß er auch zukünftig die Dienste des<br />

Freigelassenen für Brautätigkeiten in Anspruch nehmen kann und setzt die<br />

Bezahlung pauschal auf einen Rubel fest. In dem Besitzinventar vom 9. März 1782<br />

findet sich ein weiterer „Erbjunge“ namens Peter, dessen Wert mit 20 Rubeln<br />

angegeben wird 93 . Die Ambivalenz von theoretischen Reflexionen über die<br />

Leibeigenschaft und Praxis ist in Livland im 18. Jahrhundert nicht ungewöhnlich, so<br />

akzeptierte J.G. Eisen als land- und bauernbesitzender Pastor die Übergabe von<br />

Leibeigenen als Vergütung für geleistete Dienste und erwarb bereits 1754 einen<br />

Leibeigenen 94 . Grundsätzlich ist die soziale Stellung des einzelnen Bauern<br />

Gadebusch nicht übermäßig wichtig. Er steht der schwedischen Sozialpolitik kritisch<br />

gegenüber, die den Bauern soziale Erleichterungen verschaffen wollte und daher von<br />

diesen als goldene Zeit gerühmt wurde. Größere Sympathien hegt er für die<br />

(bauernfeindliche) Sozialpolitik der russischen Zaren seit Peter I., die versuchten, mit<br />

weitreichenden Zugeständnissen an den Adel diesen an sich zu binden und dabei in<br />

Kauf nahmen, daß sich die Lage der Bauern rapide verschlechterte.<br />

90 Vgl. Gadebusch, Jahrbücher III1, § 173, S. 314-317.<br />

91 Vgl. den Freilassungsbrief vom 6. März 1782 mit dem Transsumt des Kaufbriefes vom 20 Januar<br />

1760 und die Bestätigung vom 7. Juli 1783 in: Dorpater Magistrat: Attestate, Bescheinigungen,<br />

Testamente, Bl. 23 u. 24, siehe Anhang, Nr. 13; Gadebusch war von 1748 bis 1750 bei dem Landgerichtsassessor<br />

als Hauslehrer seiner beiden Söhne angestellt gewesen.<br />

92 Ebd., Bl. 23v.<br />

93 Vgl. Inventarium des Besitzes, angelegt vom 26. Februar bis zum 9. März, 26. S.<br />

94 Vgl. R. Bartlett / E. Donnert, Johann Georg Eisen, S. 49.

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