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Download - Baltische Historische Kommission

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formt jedes neue Element in eine Lehre - ein Symbol - um und bewirkt das Entstehen<br />

von Erinnerungsbildern, deren Besonderheiten sich an drei Merkmalen festmachen<br />

lassen: ihrem konkreten Bezug auf Raum und Zeit, dem konkreten Bezug auf eine<br />

Gruppe und der Rekonstruktivität als eigenständigem Verfahren, d.h. es bleibt nur<br />

das von der Vergangenheit, was die Gesellschaft jeder Epoche mit ihrem jeweiligen<br />

Bezugsrahmen rekonstruieren kann, wodurch auch die Erfahrungen der Gegenwart<br />

und Zukunft mit organisiert werden. In der Fähigkeit des sozialen Denkens vereinen<br />

sich somit zwei Tätigkeiten: das Gedächtnis, d.h. der Rahmen aus Begriffen, die als<br />

Anhaltspunkte dienen und sich auf die Vergangenheit beziehen, und die<br />

Vernunfttätigkeit, die von Bedingungen ausgeht, in denen sich die zeitgenössische<br />

Gesellschaft befindet.<br />

Halbwachs’ Trennung zwischen Geschichte und kollektivem Gedächtnis, die eine<br />

Anpassung seiner Theorien auf Gadebuschs Umgang mit Erinnerung und Geschichtsschreibung<br />

erschwert, wird von Pierre Nora - Historiker an der Ecole des<br />

Hautes Etudes en Sciences Sociales in Paris - übernommen, der mit einem kulturpessimistischen<br />

Unterton behauptet, beide Begriffe seien „wie uns heute bewußt wird, in<br />

jeder Hinsicht Gegensätze.“ 3 Nora zufolge hat sich das ursprüngliche Gedächtnis<br />

von einem spontanen, individuellen oder sozialen kollektiven zu einem willentlichen,<br />

als Pflicht erlebten gewandelt und ist auf diesem Weg in der Geschichte<br />

aufgegangen.<br />

Eine Ausweitung der sozialpsychologischen Gedächtnistheorie in das Gebiet der<br />

Kulturwissenschaften hat der Ägyptologe Jan Assmann vorgenommen, der unter<br />

dem Terminus des kulturellen Gedächtnisses die jeweilige Überlieferungs- und<br />

Vergegenwärtigungsform des kulturellen Sinns versteht und ihn als „Sammelbegriff<br />

für alles Wissen, das im spezifischen Interaktionsrahmen einer Gesellschaft Handeln<br />

und Erleben steuert und von Generation zu Generation zur wiederholten Einübung<br />

und Anweisung ansteht“ 4 verwendet. Ihm zufolge besteht das kulturelle Gedächtnis<br />

zum einen in dem im Archiv aufbewahrten historischen Material und zum anderen in<br />

dem aktuellen Bewußtsein und Wissen der Gruppe, das sich in Erinnerungsfiguren,<br />

wie schicksalhaften Ereignissen der Vergangenheit, mit deren Erinnerung durch<br />

2 Die sogenannten „cadres sociaux“, vgl. M. Halbwachs, Les Cadres Sociaux de la Mémoire, Paris<br />

1925.<br />

3 Vgl. P. Nora, Zwischen Geschichte und Gedächtnis: Die Gedächtnisorte. In: Ders., Zwischen Geschichte<br />

und Gedächtnis [Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek, Bd. 16], Berlin 1990, S. 12.<br />

4 J. Assmann, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Ders. / T. Hölscher (Hg.), Kultur<br />

und Gedächtnis, Frankfurt 1988, S. 9.

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