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Download - Baltische Historische Kommission

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Livland von zwei Tendenzen geleitet wurde: es enthielt egalitäre Strömungen, indem<br />

es unter Ignorierung nationaler Differenzen den sozialen Unterschichten Aufstiegsmöglichkeiten<br />

einräumte und war ansatzweise demokratisch, „weil es die Basis der<br />

städtischen Selbstverwaltung verbreiterte und die sich selbst ergänzende und lebenslang<br />

fungierende Stadtobrigkeit durch befristet gewählte Funktionsträger ersetzte.“ 56<br />

In der historischen Forschung läßt sich eine Polarisierung zwischen den zwei<br />

genannten Tendenzen feststellen 57 , die aus dem Streit um Russifizierung und<br />

Germanisierung der Esten und Letten zwischen Carl Schirren und Jurij Samarin<br />

resultiert und die Haltung deutschbaltischer Historiker lange Zeit bestimmt hat.<br />

Samarin hatte 1868 eine erste Lieferung seines Werkes ‘Grenzmarken Rußlands’<br />

herausgegeben, das neben Anschuldigungen gegen die lutherische Kirche auch den<br />

Vorwurf des Hochverrats gegen führende Kräfte des Landes beinhaltete. Diese seien<br />

laut Samarin nur bestrebt, die alten Privilegien zu schützen und durch die<br />

Germanisierung ein Bollwerk in Livland gegen Rußland aufzubauen. Auf diese<br />

Vorwürfe reagierte C. Schirren, der an der Universität Dorpat lehrte und 1862 das<br />

‘Dorpater Tageblatt’ gegründet hatte, mit seiner Kampfschrift ‘Livländische Antwort<br />

an Herrn Jurij Samarin’. Im Brennpunkt des Streits standen die Kapitulationen der<br />

Ritterschaften von 1710, die nach Meinung Schirrens ihre rechtliche Gültigkeit bis<br />

zu seiner Gegenwart bewahrt hatten. In erster Linie eine politische Streitschrift ist<br />

die ‘Livländische Antwort’ auch ein historisches Werk, das eine ausführliche<br />

Darstellung der Geschichte des Nordischen Krieges enthält. Als Ergebnis konstatiert<br />

Schirren ein „Prinzip der Autonomie“ 58 , das sich die Provinzen als Lebensprinzip<br />

56 O.-H. Elias, Reval in der Reformpolitik, S. 191.<br />

57 Vgl. C. Schirren, Livländische Antwort an Herrn Jurij Samarin, Leipzig 2 1869; nur wenige der<br />

älteren deutschbaltischen Historiker bewerten die Einführung der Statthalterschaftsverfassung ausnehmend<br />

positiv, die meisten sehen in ihr das Präludium einer unaufhaltsamen „Russifizierung“ der<br />

Provinzen, so z.B. F. Bienemann, der die Verfassung „aus Willkür geflossen“ sieht, vgl. F. Bienemann,<br />

Die Statthalterschaftszeit, S. 331, dessen Darstellung an eine verkappte politische Streitschrift<br />

erinnert und die aus dem begrenzten Blickwinkel der Perspektive der Ratsangehörigen heraus verfaßt<br />

wurde; R. Wittram, <strong>Baltische</strong> Geschichte, S. 132; neutraler wertet die Untersuchung von O.-H. Elias,<br />

der die Verfassung mit dem Wunsch einer absoluten Herrscherin nach formaler Rechtsgleichheit aller<br />

Untertanen erklären möchte und in ihr demokratische Ansätze sieht, vgl. O.-H. Elias, Reval in der<br />

Reformpolitik, S. 192; einen etwas überspitzen Standpunkt nimmt der von der marxistischen<br />

Geschichtsschreibung beeinflußte E. Donnert ein, der die positiven Auswirkungen für die Bauern<br />

überbetont, denen von der Zarin das Recht gegeben wurde, Klage gegen ihre Herren bei den zuständigen<br />

Gerichtsinstanzen vorzubringen, verurteilt wird der „provinzielle Separatismus der<br />

deutschbaltischen Oberschicht“, der Donnert zufolge weniger eine nationale als vielmehr eine<br />

„klassenmäßige Grundlage“ hat, vgl. E. Donnert, Die Leibeigenschaft im Ostbaltikum. In: Wissenschaftliche<br />

Zeitschrift der Friedrich-Schiller- Universität Jena 10 (1960/61), Gesellschafts- und<br />

Sprachwissenschaftliche Reihe, H. 2, S. 241.<br />

58 Vgl. C. Schirren, Livländische Antwort, S. 95.

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