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253<br />

Gerichtsgebrauch und die Geschlossenheit des Personenkreises, der Recht sprach,<br />

schuf einen Konsens über Rechtsentscheidungen. Der Gerichtsgebrauch zeigt sich<br />

als Unterart des Gewohnheitsrechts, da die Richter mit ihren Urteilssprüchen<br />

bindende Rechtsnormen jenseits der Gesetze formulieren konnten, deren<br />

Allgemeinverbindlichkeit sich auf eine dauernd herrschende Volksmeinung<br />

begründete und Gewohnheitsrecht als vorgesetzliche Norm in der juristischen Praxis<br />

dem Willen eines Gesetzgebers übergeordnet wurde 88 .<br />

Da Gadebusch der Gedanke an eine richterliche Rechtsschöpfung fernliegt, zeichnet<br />

er die herrschenden gerichtlichen Sitten so, als seien sie ein Handlungsmodus, mit<br />

dem die Juristen der im 18. Jahrhundert in Livland existenten Rechtsunsicherheit<br />

klärend begegnen könnten. Aufgrund allgemein bekannter und für unabänderlich<br />

befundener Rechtsprinzipien, die als gleichsam kollektive Rechtsüberzeugungen<br />

Einheit schaffen, sollen Richter in konkreten Fällen entscheiden, wenn keine<br />

positiven Entscheidungsnormen zur Verfügung stehen, wie Gadebusch in der<br />

Abhandlung über das Erbrecht in Livland vorführt, in der er die theoretische<br />

Behandlung bestimmter im Livländischen Ritterrecht aufgezeichneter Rechtssätze<br />

jeweils mit Beispielen aus der gerichtlichen Praxis verbindet. Auch seine eigene<br />

Gerichtserfahrung spielt bei dem Nachweis der uneingeschränkten Gültigkeit eines<br />

Gesetzes eine wichtige Rolle, wie z.B. in der erbrechtlichen Frage, ob eine bereits<br />

verheiratete („abgelegte“) Schwester und speziell deren Kinder berechtigt seien, das<br />

Erbe eines Bruders / Onkels anzutreten:<br />

„Ich habe folgenden Erbfall selbst erlebet. Der Oberstwachtmeister Adam Ludwig<br />

von Reuz starb am 4ten Horn. 1765, und hinterließ von seinem verstorbenen Bruder<br />

den Landrichter von Reuz, drey Neffen, von seiner verstorbenen Schwester, der<br />

Rittmeisterinn von Plater, zweene Neffen, und von seiner noch lebenden Schwester,<br />

der Assessorin von Freymann, viele Neffen und Nichten. Daneben hinterließ er eine<br />

unbeerbte Wittwe. Diese genoß ihr Recht. Aber über das hinterlassene Erbgut Pigast<br />

entstand die Frage, ob solches die Bruderkinder allein, oder nebst ihnen die Schwesterkinder<br />

bekommen sollten. Letztere befrageten sich genug, unterstunden sich aber<br />

nicht, die Sache vor Gericht zu bringen, sondern überließen gedachtes Gut den Bruderkindern.“<br />

89<br />

Gerichtsurteile müssen gegebenenfalls auch modifiziert werden, da es nicht ausge-<br />

87 Gadebusch, Von dem gesetzmäßigen Erbgange, S. 20.<br />

88 Gadebuschs Theorien über das Gewohnheitsrecht verweisen bereits auf diejenigen der Anhänger<br />

der historischen Rechtsschule (G.F. Puchta und F.K. Savigny), die die Rechtsgewohnheit als legitimes<br />

Gegengewicht zur willkürlichen Rechtssetzung durch den Gesetzgeber und Eingriffe des Staates in<br />

das Recht als Anomalie begriffen.<br />

89 Gadebusch, Von dem gesetzmäßigen Erbgange, S. 38f.

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