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Download - Baltische Historische Kommission

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Personen in den regionalen Grenzen dargestellt wird, mit dem Begriff des<br />

Fortschritts. Die einzelne Biographie gewinnt ihren Sinn erst dann, wenn sie etwas<br />

zum Fortschritt oder zur Verfestigung der livländischen Ständegesellschaft beitragen<br />

kann, das Interesse an der Kontinuität in der Landesgeschichte überwiegt das an der<br />

Biographie. Jedes historische Individuum wird als Ausdruck einer auch außer ihm<br />

vorhandenen allgemeinen Tendenz verstanden und so stellen die<br />

Lebensbeschreibungen bei Gadebusch gleichsam Chiffren dar, aus deren Gesamtheit<br />

eine Sozialstruktur des livländischen Landesstaates aufgebaut werden soll. Wie in<br />

Kapitel 8.) dargelegt, bedient sich Gadebusch bei der Ausarbeitung der biographischen<br />

Schriften eines bestimmten Kanons, der einen Katalog der möglichen<br />

verfügbaren sozialen Typisierungen enthält, die ihrerseits als Bündel spezifischer<br />

Verhaltenserwartungen definiert sind. Hinter der Bezugnahme auf besondere<br />

Identifikationsfiguren aus der Landesgeschichte steht ein historisches<br />

Selbstverständnis im Sinne einer Selbstvergewisserung der livländischen<br />

Ständegesellschaft. Eine derart gesicherte Konstanz der Individualität der<br />

„Livländer“ läßt die beschriebenen Personen zu Trägern von partikularen<br />

Handlungen werden, die erst im Rahmen eines komplexen geschichtlichen<br />

Zusammenhanges verstehbar sind, und so vollzieht sich ihr Handeln stets unter den<br />

Bedingungen des geschichtlichen Lebens, das sie einerseits bestimmen, das aber auf<br />

einer höheren Stufe seinerseits Formen von Individualität annimmt. Die<br />

Landesgeschichte selbst tritt in den ‘Jahrbücher[n]’ in den Erzählungen über diejenigen<br />

Personen und Gruppen in Erscheinung, deren Absicht politische oder moralische<br />

Bedeutung haben und die als „historische Persönlichkeiten“ „denkwürdig“ sind. Die<br />

Gemeinsamkeit der „Livländer“, die sich auf Herkunftssagen wie die der<br />

„Aufsegelung“ des Landes durch deutsche Kaufleute, und die der Entwicklung des<br />

Ständestaates aus dem Vasallentum des 13. Jahrhunderts gründet, schafft die Möglichkeit<br />

einer sozialen Erinnerung, die an der Schwelle des Überganges entsteht, an<br />

der Gedächtnis und Geschichte zusammentreffen und verschmelzen.<br />

Greift man noch einmal auf Halbwachs’ Verständnis des „kollektiven Gedächtnis“<br />

zurück, so wird deutlich, daß dieses sich nicht ohne weiteres für Gadebuschs<br />

Konzept adaptieren läßt, da ein kollektives Gedächtnis für ihn die Summe<br />

individueller Erinnerungen darstellt und daher erst aus den individuellen historischen<br />

Erinnerungen heraus zu verstehen ist und nicht automatisch vorausgesetzt werden<br />

50 Vgl. Gadebusch, Jahrbücher I1, § 64, S. 241.

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