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10.) Funktionen der Geschichtsschreibung: Die Suche nach der Tradition<br />

10.1.) Das „kulturelle Gedächtnis“<br />

Seit ungefähr einem Jahrzehnt ist - beeinflußt von den Kulturwissenschaften - in der<br />

Geschichtswissenschaft viel von dem Phänomen „Gedächtnis“ die Rede, wie sich an<br />

der enorm angewachsenen Forschungsliteratur auf philosophisch-kulturgeschichtlichem<br />

Gebiet vor allem zum Bildgedächtnis und zum kulturellen Gedächtnis ablesen<br />

läßt. In diesem Zusammenhang wurde eine Reihe von Metaphern untersucht, die dem<br />

Bestreben dienen sollen, der Immaterialiät des menschlichen Gedächtnis habhaft zu<br />

werden. Zwei dieser Metaphern sollen im Zusammenhang mit Gadebuschs Geschichtsverständnis<br />

näher beleuchtet werden: Bibliothek und Testament.<br />

Die Vorstellung einer kollektiven Erinnerung stammt aus der klassischen französischen<br />

Soziologie von Émile Durkheim, der im Angesicht des Verlusts religiöser<br />

Sinngebung zu erforschen suchte, was die Beziehungen der Menschen untereinander<br />

bestimmt. Durkheim kam zu dem Schluß, daß alle Handlungen und Regeln auf eine<br />

überindividuelle soziale Wirklichkeit zurückgeführt werden können, die er mit dem<br />

Begriff des „kollektiven Bewußtseins“ benannte 1 . Zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

setzte der Durkheim- Schüler M. Halbwachs, der sich skeptisch gegenüber der Annahme<br />

einer rein innerpsychologischen Überlieferung des Individuums zeigte und<br />

das Erinnern als sozialen Vorgang der Rekonstruktion aus einer aktuellen Situation<br />

hinaus auffaßte, dessen Soziologie des Kollektivbewußtseins in Kategorien<br />

geschichtstheoretischen Denkens um. Mit dem Ziel, die individuelle Erinnerung an<br />

politische und soziale Bedingungen zu koppeln, entwickelte Halbwachs den Begriff<br />

des „kollektiven Bewußtseins“. In ihm drückt sich eine gemeinsame Art der Weltund<br />

Vergangenheitsdeutung eines sozialen Gefüges aus. Halbwachs stellt das<br />

individuelle dem kollektiven Gedächtnis gegenüber und konstatiert ein<br />

Abhängigkeitsverhältnis: das individuelle Erinnern ist wesentlich auf ein<br />

„kollektives Gedächtnis“ angewiesen. Das bedeutet, Individuen erinnern sich zwar in<br />

einem als autobiographisch bezeichneten Gedächtnis ihrer eigenen Geschichte, aber<br />

nicht unter selbstgewählten Umständen, sondern in einem jeder Gruppe eigenen<br />

sozial produzierten Wahrnehmungsrahmen 2 . Das kollektive Gedächtnis wird als<br />

Gesamtbestand von Erinnerungen definiert, die die Gesellschaft in jeder Epoche mit<br />

ihren gegenwärtigen Bezugsrahmen rekonstruieren kann. Dieser Bezugsrahmen<br />

1 Vgl. E. Durkheim, Die Regeln der soziologischen Methode, Neuwied 1961, S. 106.

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