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Psychiatrische Pflege, psychische Gesundheit und Recovery ...

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ten Zeiten abgebrochen hatte. Eineinhalb Jahre lang Karteikarten in einer<br />

Arztpraxis alphabetisch sortieren, Krankenscheine stempeln <strong>und</strong> sich verfärbende<br />

Streifen in Urinproben halten, das war meine Berufserfahrung. „Normal“<br />

war für 27jährige etwas anderes, da war ich mir sicher. Normalität war<br />

dann auch das Thema, mit dem ich mich tagein, tagaus beschäftigte, denn ich<br />

hatte eine „verrückte“ Zeit hinter mir <strong>und</strong> wünschte mir nichts mehr als ein<br />

„ganz normales“ Leben zu leben.<br />

Was mir beruflich an Erfahrung fehlte, hatte ich an Erfahrungen mit mir selbst<br />

in ausreichendem Maße. Achtzehn Monate Aufenthalt in der Kinder- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie<br />

lagen hinter mir. Mehrere Jahre, mit Unterbrechungen, hatte<br />

ich verschiedene Einrichtungen der Erwachsenenpsychiatrie kennen gelernt.<br />

Ich hatte versucht meine Grenzen auszuloten <strong>und</strong> mich dabei nicht selten in<br />

lebensgefährliche Situationen gebracht – die Fachleute bezeichneten mich als<br />

„Borderlinerin“.<br />

Vorzuweisen hatte ich mit 27 Jahren: einen Aktenordner mit Zwangseinweisungen<br />

(Unterbringungen nach PsychKG), einen Stapel Arztberichte, dutzende<br />

randvoll geschriebene Tagebücher, unzählige Narben am Körper, einen<br />

Schwerbehindertenausweis <strong>und</strong> die Fähigkeit, in Kontakten mit professionell<br />

Tätigen verschiedener Berufsgruppen, die Anerkennung von Leid einzufordern,<br />

die für mich so wichtig war, um mein Leben bewältigen zu können. Ganz<br />

nebenbei hatte ich umfassendes Fachwissen über meine Diagnose gesammelt,<br />

ich kannte so ziemlich alle Bücher, die zum Thema Borderline auf dem Markt<br />

waren.<br />

Brauchen konnte ich das alles in meiner Ausbildung zur Arzthelferin nicht.<br />

Wichtig war es mir aber trotzdem <strong>und</strong> so waren meine Psychiatrieerfahrungen<br />

mein „Freizeitthema“ Nummer eins <strong>und</strong> eigentlich auch mein einziges. Zum<br />

Glück gab es Gleichgesinnte. Meine Fre<strong>und</strong>in – die ich aus der Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendpsychiatrie kannte – teilte mit mir die Überlegungen über „Normalität<br />

<strong>und</strong> Verrücktheit“, <strong>und</strong> wir tauschten Bücher aus, die uns im Hinblick auf diese<br />

Fragen interessant erschienen. Eines Tages brachte sie mir ein Buch mit, in<br />

dem Jugendliche über ihre Erfahrungen in der Kinder- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie<br />

berichteten. Wir waren mit dem Inhalt nur teilweise einverstanden, weil unserer<br />

Meinung nach nur die „netten“ Seiten der Psychiatrie beschrieben waren,<br />

<strong>und</strong> schrieben einen Leserbrief an die Herausgeberin. Sie lud uns daraufhin<br />

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