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Psychiatrische Pflege, psychische Gesundheit und Recovery ...

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genauerem Hinsehen, entdeckte ich eine Schramme, die ich mir beim Aufsetzen<br />

des Rucksacks zugezogen haben musste. Sehr oberflächlich, ein kleiner<br />

Kratzer, nicht weiter schlimm. Es hat gebrannt wie Feuer, <strong>und</strong> ich habe mir<br />

ziemlich leid getan. Und in dem Augenblick habe ich mich gefragt, wie ich<br />

eigentlich den Schmerz der Selbstverletzungen damals ausgehalten habe.<br />

Darüber war ich dann einigermaßen verblüfft. Das war so ein Moment, in dem<br />

ich gemerkt habe, es hat sich etwas verändert. Über so eine Schramme hätte<br />

ich früher allenfalls gelacht, Schmerz hatte damals eine andere Bedeutung für<br />

mich. Zum <strong>Recovery</strong>-Prozess gehört für mich also die Aneignung biographischer<br />

Erfahrungen aus neuen Perspektiven, beispielsweise aus einem größeren<br />

zeitlichen Abstand heraus.<br />

… eine über Jahre andauernde, große Anstrengung.<br />

Einen Alltag mit Borderlineerfahrungen <strong>und</strong> allen Folgen, die daran hängen,<br />

durchzuhalten, bedeutet eine große Anstrengung. Es ist ein Balanceakt. Durch<br />

meine Selbstverletzungen habe ich beispielsweise Narben an den Armen. Um<br />

als „normal“ zu gelten, ist es wichtig, diese Narben nicht zu zeigen. Das heißt<br />

ich muss meine Arme unter langen Ärmeln verstecken. Nicht nur weil ich mich<br />

dafür schäme, sondern weil mir die Erfahrung zeigt, dass mir viele Leute, die<br />

die Narben sehen Fragen nach der Herkunft dieser „Lebensspuren“ stellen. Es<br />

ist anstrengend, das jedes Mal erklären zu müssen. So laufe ich also auch bei<br />

30°C im Schatten mit langen Ärmeln herum <strong>und</strong> lasse mich lieber als Frostköttel<br />

verspotten, damit ich nicht als „anders“ enttarnt werde <strong>und</strong> einer befürchteten<br />

Stigmatisierung entgehe. Mir ist jederzeit gegenwärtig, dass ich nicht so<br />

herumlaufen kann wie ich möchte. Ich glaube aber, es ist gerade auch eine<br />

Kompetenz, dass ich mir überlege, wem ich mich ausliefere <strong>und</strong> welchen Menschen<br />

ich mich dem „dunklen“ Teil meiner Geschichte zumuten <strong>und</strong>/oder<br />

anvertrauen kann. Diese „Lebensspuren“ sind ein sichtbarer Teil meines Erfahrungswissens,<br />

das ich aber nicht in allen Kontexten zum Thema machen muss.<br />

… mit Vergangenheitsbewahrern über Veränderungen zu staunen.<br />

Ich habe lange Zeit die Unterstützung des Krisendienstes in Anspruch genommen.<br />

Es gab dort einen Mitarbeiter, der zu der Zeit in der Klinik arbeitete, als<br />

ich auf der geschlossenen Station war. Er kannte mich also aus meinen „ganz<br />

heißen Phasen“ in der Psychiatrie. Er war Zeuge von Fixierungen <strong>und</strong> anderen<br />

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