MENSCHENRECHTE VERSTEHEN - ETC Graz
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158 RECHT AUF GESUNDHEIT<br />
die Gesundheit von Menschen verhüten soll,<br />
hat sich in den letzten zehn Jahren entwickelt:<br />
das Prinzip der vorausschauenden Handlung<br />
oder Vorsorgeprinzip. Dieses Prinzip, definiert<br />
und ausformuliert 1998 in Wisconsin/<br />
USA durch eine internationale Gruppe von<br />
WissenschaftlerInnen, RegierungsbeamtInnen,<br />
AnwältInnen sowie AktivistInnen aus Gewerkschafts-<br />
und Basisgruppen der Umweltbewegung,<br />
verlangt vom Befürworter einer neuen<br />
Technologie, deren Sicherheit zu beweisen,<br />
bevor sie allgemein zugänglich gemacht wird<br />
oder Auswirkungen auf die Umwelt hat. Zu<br />
guter Letzt müssen gemäß dem Vorsorgeprinzip<br />
alle Entscheidungen offen, informiert und<br />
demokratisch getroffen werden und die betroffenen<br />
Parteien einschließen.<br />
3. Interkulturelle Perspektiven<br />
und strittige Themen<br />
Die Wiener Deklaration von 1993 (das Abschlussdokument<br />
der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz)<br />
hält fest, dass kulturelle<br />
Unterschiede anerkannt werden sollen, allerdings<br />
auf eine Weise, welche die Universalität<br />
der Menschenrechte nicht in Frage stellt. Die<br />
Allgemeine Bemerkung Nr. 14 des Komitees für<br />
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte<br />
unter dem Sozialpakt zum Recht auf Gesundheit<br />
baut auf diesem Bewusstsein auf, indem<br />
sie verlangt, dass das Gesundheitswesen, medizinische<br />
Güter und Dienstleistungen kulturell<br />
angemessen sein müssen. Ein kultureller<br />
Aspekt des Menschenrechts auf Gesundheit ist<br />
etwa die Überbetonung des biomedizinischen<br />
Gesundheitssystems und damit des Verständnisses,<br />
wie das Menschenrecht auf Gesundheit<br />
zu realisieren sei. In vielen Teilen der Welt<br />
dominiert jedoch traditionelle Medizin (TM)<br />
die Praxis des Gesundheitswesens. In Afrika<br />
befriedigen bis zu 80% der Bevölkerung ihre<br />
Bedürfnisse nach Gesundheitsvorsorge durch<br />
TM. In Asien (vor allem in China), Lateinamerika<br />
und unter den indigenen Völkern Australiens<br />
und Amerikas ist TM weit verbreitet<br />
(mehr als 40%). Die WHo definiert TM als<br />
Therapien „unter Verwendung von Kräutermedizin,<br />
tierischen Präparaten und Mineralien<br />
sowie Behandlungen ohne Medikation,<br />
Manualtherapien und spirituelle Therapien“<br />
(WHo Fact Sheet No. 134, 2003). Die Anwendung<br />
von TM hängt eng mit dem Recht auf<br />
Kultur, den Gesetzen zum Schutz geistigen Eigentums,<br />
dem Recht auf Land und dem Recht<br />
auf nachhaltige Entwicklung zusammen. In<br />
Anerkennung der weiten Verbreitung und der<br />
Vorteile von TM sowie der Bedeutung von<br />
wirtschaftlich und kulturell angemessenen<br />
Therapien hat die WHo eine Strategie für<br />
Traditionelle Medizin (2002-2005) entwickelt,<br />
um den zweckmäßigen Einsatz von TM in<br />
Entwicklungsländern sicherzustellen.<br />
In anderen Fällen folgt eine Missachtung oder<br />
Verletzung des Rechts auf Gesundheit aus<br />
asymmetrischen Machtverhältnissen innerhalb<br />
von Gruppen aufgrund von Gender, Alter,<br />
„Rasse“, Religion, ethnischer Zugehörigkeit,<br />
usw. Auch hier ist das Grundprinzip der<br />
Nichtdiskriminierung anzuwenden. Weibliche<br />
Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation/FGM)<br />
ist in großen Teilen Afrikas und<br />
in Teilen des Nahen ostens eine weit verbreitete<br />
Praxis. Ihre historische Tradition, obwohl<br />
oft fälschlicherweise der Religion zugeschrieben,<br />
reicht über 2000 Jahre zurück. Die Praxis<br />
kann das körperliche und seelische Wohlbefinden<br />
von Mädchen und Frauen schwerstens<br />
beeinträchtigen. Dazu hält eine gemeinsame<br />
Erklärung von WHo, UNICEF und UNo-Bevölkerungsfonds<br />
vom Februar 1996 fest: „Es<br />
ist nicht akzeptabel. dass die internationale<br />
Gemeinschaft im Namen einer deformierten<br />
Vision von Multikulturalismus untätig bleibt.<br />
... Kultur ist … nicht statisch, sondern durch<br />
Anpassung und Reform in ständiger Bewe-