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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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chung in der Familie <strong>und</strong> in sozialen Diensten gegenübergestellt. Unter der<br />

Hand wird zugleich vermittelt, geschlechtliche Arbeitsteilung ermögliche<br />

Frauen deren Selbstverwirklichung, statt sie zu blockieren; so etwa der heutige<br />

B<strong>und</strong>eskanzler Kohl in einer Rede 1976: Es geht für die Frauen<br />

nicht darum, nach männlichen Maßstäben gleichzuziehen, sondern als der<br />

andere Mensch angenommen zu werden, der er eben ist. Die Frau hat eigene<br />

Möglichkeiten der Erfüllung des Lebens, welche dem Mann nicht gegeben<br />

sind." (Geißler 1979, S. 39, Herv. U.B.). Geschlechtliche Arbeitsteilung<br />

wird so zu anthropologischen Konstante der Geschlechterdifferenz erhoben,<br />

ihre <strong>gesellschaftliche</strong> Bedeutung verschleiert.<br />

An dieser Entwicklung sind die Sozialwissenschaften nicht unbeteiligt,<br />

auch fehlt es schlicht an interdisziplinärer Forschung. Von Ausnahmen<br />

abgesehen (Horkheimer 1936), wurde die Arbeit der Frau in der Familie<br />

— als Erziehungs- <strong>und</strong> Pflegeleistung, als Hausarbeit, als betriebliche Mitarbeit<br />

— von der Soziologie bis zur Durchsetzung der Frauenforschung sträflich<br />

vernachlässigt. Die Klage darüber von einigen wenigen Familiensoziologen,<br />

Familienpolitikforschern <strong>und</strong> Haushaltswissenschaftler(n)/innen reicht<br />

zurück bis in die 50er Jahre, so bei König (1946), Egner (1952), Oeter<br />

(1954 <strong>und</strong> 1960), Bühler (1961), Schmucker (1961).<br />

Daß die familiale Ökonomie (3) seit kurzem politisch <strong>und</strong> wissenschaftlich<br />

aufgewertet wird, dürfte sich allerdings kaum dem spontanen Bedürfnis<br />

nach Vervollständigung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verdanken<br />

— sie wird neuerdings jedoch angestrebt (4). Eher geht es darum, ihren<br />

Wert im Sinne unentgeltlicher Leistungen zu betonen <strong>und</strong> hervorzuheben.<br />

Das soziologische <strong>und</strong> volkswirtschaftliche Bestreben, unentgeltliche Frauenarbeit<br />

aus ihrem Schattendasein herauszuholen, erzeugt jedoch auch Unbehagen.<br />

Sie scheint im Begriff zu sein, zu einer neuen Selbstverständlichkeit<br />

zu werden. War die Familienarbeit der Frau bis vor wenigen Jahren<br />

noch nicht einmal als Arbeit definiert, wird sie heute emphatisch als Leistung<br />

ersten Ranges gepriesen. Und eben dieses Lob macht mißtrauisch:<br />

Etabliert sich unentgeltliche Frauenarbeit — etwa unter dem Begriff der<br />

„Haushaltsproduktion" (Glatzer 1984) — als gleichgewichtiger Beitrag zum<br />

Sozialprodukt neben marktvermittelten Gütern <strong>und</strong> Dienstleistungen?<br />

Droht sich hier die Ideologie breitzumachen, unentgeltliche Leistungen<br />

seien in Tauschgesellschaften ebenso selbstverständlich wie entgeltliche, die<br />

daraus resultierende ökonomische <strong>und</strong> soziale Abhängigkeit zwar bedauerlich,<br />

jedoch unvermeidlich? Je selbstverständlicher eine Verhaltensweise, so<br />

Dieter Ciaessens (1962), desto wichtiger der dahinterstehende <strong>gesellschaftliche</strong><br />

Wert; unter diesem Gesichtspunkt ist die bisherige wissenschaftliche<br />

Vernachlässigung unentgeltlicher Frauenarbeit kaum Gedankenlosigkeit.<br />

Eher ist anzunehmen, daß auf dem Umweg der sozialpolitischen Diskussion<br />

um leere Kassen <strong>und</strong> fehlende Arbeitsplätze plötzlich ein Thema Eingang in<br />

die wissenschaftliche Diskussion findet, das mit dem Gr<strong>und</strong>konsens tauschorientierter<br />

Industriegesellschaften nicht kompatibel ist: die unentgeltlichen<br />

Leistungen von Frauen in einer Gesellschaftsordnung, die als gr<strong>und</strong>le-<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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