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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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zwar durchweg von wertwandlungsrelevanten Sozialisationsfolgen der Bildung<br />

die Rede, nicht aber von gewollten Einwirkungen des Bildungssystems<br />

auf die Wert<strong>entwicklung</strong>. Es ging, um es konkret zu sagen, nicht um Rahmenrichtlinien<br />

<strong>und</strong> Unterrichtspläne, in denen die Kultivierung von Selbstentfaltungswerten<br />

<strong>und</strong> von Konfliktbereitschaften <strong>und</strong> -fähigkeiten zu ihrer<br />

Durchsetzung zum Programm erhoben wurde. Es ging auch nicht um „linke"<br />

oder „ultra-liberale" Tendenzen beim Lehrer- <strong>und</strong> Dozentenpersonal;<br />

auch nicht um die Schulbuchinhalte, die nach dem Ergebnis einschlägiger<br />

Untersuchungen seit den 60er Jahren in zunehmendem Maße akzeptanzkritischen<br />

Geist ausatmeten.<br />

Wenn ich alle diese Dinge in meiner Hypothesenliste ausgelassen habe,<br />

dann natürlich nicht, um ihre Bedeutungslosigkeit zu behaupten. Selbstverständlich<br />

wäre dies eine Position, die sich schwer vertreten ließe.<br />

Wenn ich mich solchen „intentionalen" Veränderungen im Bildungssystem<br />

gegenüber aber zugegebenermaßen spröde gezeigt habe, wenn ich<br />

mich an ihrer Stelle auf „nicht-intentionale" Einwirkungen konzentriert<br />

habe, so hat dies allerdings trotz alledem seinen Gr<strong>und</strong> in einer Bewertung.<br />

Ich gehe in der Tat davon aus, daß diese nicht-intentionalen Wertbeeinflussungen<br />

im Bildungsbereich die eigentlich ausschlaggebenden waren <strong>und</strong> sind,<br />

<strong>und</strong> daß neben ihnen die intentionalen Einflußnahmen, die wir in massiver<br />

Form gehabt haben <strong>und</strong> immer noch haben, nur einen kleineren, möglicherweise<br />

sogar unbedeutenden Teil der erklärungsbedürftigen Varianz abzudecken<br />

vermögen. 19<br />

Selbstverständlich ist diese Feststellung — wie sehr vieles von den Dingen,<br />

die ich vorgetragen habe — verhältnismäßig spekulativ (oder sagen wir:<br />

„hypothetisch", denn sie läßt sich ja nachprüfen, sobald nur die erforderlichen<br />

Daten verfügbar sind). Ich bin mir auch darüber im klaren, daß diese<br />

Feststellung vor allem für Pädagogenohren sehr provokativ klingen muß.<br />

Ich meine jedoch, daß das, was im anglo-amerikanischen Bereich „Evidenz"<br />

heißt, im vorliegenden Fall dermaßen dicht ist, daß sich auf diese<br />

provokative Feststellung abschließende Problemaufweisungen <strong>und</strong> Folgerungen<br />

aufbauen lassen, denen ich mich jetzt zuwenden will.<br />

Ich möchte hierbei von der Beobachtung ausgehen, daß die Verwirklichung<br />

von „Werten" durch ihre bewußte <strong>und</strong> gezielte Vermittlung von<br />

allem Anfang an das eigentliche Kernthema der Theorie <strong>und</strong> Praxislehre<br />

der Bildung war, der „Pädagogik" nämlich, wie man aus jeder halbwegs<br />

informativen Pädagogikgeschichte entnehmen kann. „Paideia" bedeutete<br />

seit der griechischen Antike die „bildnerische Arbeit am Menschen" auf<br />

bestimmte „Lebens- <strong>und</strong> Bildungsideale" hin, in deren Zentrum „Tugenden"<br />

(oder eben „Werte") standen. Zwar haben sich im Laufe der Zeit<br />

20<br />

sowohl die in Werten begründeten Bildungsleitbilder wie auch die Vorstellungen<br />

über pädagogische Praktiken geändert. Das Ziel einer pädagogischen<br />

Wertvermittlung blieb aber bis heute bestehen.<br />

Wenn ich mich hier auf nicht-intentionale Wertbeeinflussungen im Bildungssystem<br />

konzentriert habe <strong>und</strong> wenn ich überdies hinzugefügt habe,<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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