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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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Wirkungen entsteht, ist weder spontan abgestimmt noch 'gesetzmäßig' determiniert.<br />

Die Existenz von Handlungsspielräumen für eine große Zahl von<br />

Akteuren erhöht vielmehr trotz aller Abstimmungsbemühungen die Wahrscheinlichkeit,<br />

daß z.B. aus dem Zusammentreffen von absichtsvoller politischer<br />

Intervention mit dem an eigenen Zielen orientierten Handeln von<br />

Organisationen <strong>und</strong> Einzelpersonen etwas resultiert, was von keinem der<br />

Beteiligten beabsichtigt <strong>und</strong> i.d.R. auch nicht vorhergesehen wurde. Die<br />

8<br />

uns oft überraschende <strong>und</strong> politische Steuerungsbemühungen frustrierende<br />

Dynamik moderner Gegenwartsgesellschaften, die anscheinende Indeterminiertheit<br />

mancher <strong>gesellschaftliche</strong>n Vorgänge ist insofern das Ergebnis<br />

ganz bestimmter historischer Entwicklungen — kein Merkmal alles Sozialen<br />

schlechthin, sondern das Spezifikum eines bestimmten Gesellschaftstyps.<br />

Hält man trotz dieser Eigenart unseres Erkenntnisgegenstandes am Ziel<br />

einer empirisch f<strong>und</strong>ierten, erklärungskräftigen Gesellschaftstheorie fest,<br />

die nicht nur etwas über Beschaffenheit <strong>und</strong> Bildung sozialer Ordnungen<br />

oder auch Konfliktstrukturen zu sagen weiß, sondern auch zum Verständnis<br />

dynamischer Vorgänge in komplexen sozialen Systemen führt, dann<br />

muß man fragen, warum die heute vorherrschenden theoretischen Paradigmen<br />

diesem Erkenntnisinteresse offensichtlich nicht genügen.<br />

Angesichts der besonderen Fragestellung, um die es hier geht, könnte<br />

man versucht sein, den zentralen Mangel in einer Vernachlässigung von Prozeßtheorien<br />

im Bereich der heutigen Makro<strong>soziologie</strong> zu suchen. Dagegen<br />

9<br />

spricht allerdings die Konjunktur von Modernisierungstheorien in den 60er<br />

Jahren ebenso wie die neuere Renaissance evolutionstheoretischer Ansätze,<br />

ganz zu schweigen von dem lebhaften Interesse für besondere Veränderungsprozesse<br />

wie den technischen Wandel, die Rationalisierung oder die Entwicklung<br />

einer postindustriellen Gesellschaft. Das Defizit liegt also nicht im<br />

Verkennen von Wandlungsvorgängen, sondern eher in einer unzureichenden<br />

Analyse der Prozeßmechanismen sowie in dem vorherrschenden Interesse<br />

für längerfristige, mehr oder weniger lineare Trends in der Veränderung einzelner<br />

Systemmerkmale. Es ist diese Betrachtungsweise, die uns manche<br />

der eingangs angesprochenen Überraschungen beschert hat. Wie unerwartet<br />

schnell ist z.B. die skeptische Generation abgetreten, hat sich das Ende der<br />

Ideologie in sein Gegenteil verkehrt, sind im Schoß der auf Wissen <strong>und</strong> Information<br />

basierenden postindustriellen Gesellschaft neue Irrationalismen<br />

entstanden. Die Fixierung auf lineare Trends hat dazu geführt, daß uns<br />

Entwicklungen wie die Ausbreitung der informellen Ökonomie, die Entdifferenzierungsphänomene<br />

z.B. im medizinischen Bereich oder auch die<br />

10<br />

Renaissance des Regionalismus in ihrem scheinbar plötzlichen Auftreten<br />

überrascht haben. Nicht, daß es keine Trends z.B. einer wachsenden Differenzierung,<br />

Bürokratisierung oder Verwissenschaftlichung gäbe. Sie sind<br />

aber, wie Norbert Elias am Beispiel der politischen Zentralisierung so schön<br />

gezeigt hat , oft bloß das Ergebnis der zeitweiligen Dominanz einer Tendenz<br />

im Widerspiel gegenläufiger Kräfte <strong>und</strong> neigen schon deshalb zu Brü­<br />

11<br />

chen <strong>und</strong> Umkehrungen.<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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