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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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netische, zell- <strong>und</strong> <strong>entwicklung</strong>sbiologische Verfahren zur partiellen Rekonstruktion<br />

höherer Organismen — <strong>und</strong> letzten Endes von Menschen — einzusetzen,<br />

wird dabei ihr Anwendungsbereich weit über den der industriellen<br />

Produktion im engeren Sinn hinausgehen. Anfänge dieser Entwicklung sind<br />

in der Fortpflanzungsmedizin realisiert (Jüdes 1983; Hohlfeld 1984).<br />

Eine Charakterisierung der sozialen Substitutionsleistungen der Gentechnik<br />

ist bisher schwierig, weil ihre Anwendungsmöglichkeiten — ähnlich<br />

wie in der Mikroelektronik — äußerst vielfältig <strong>und</strong> offen sind. Anschaulich<br />

<strong>und</strong> gegenwärtig breit diskutiert sind die sozialen Substitutionsleistungen<br />

eines schnell wachsenden Angebots an technischen Lösungen im Vorfeld<br />

molekulargenetischer Technik für das Problem der Unfruchtbarkeit. Die<br />

,,biopsychosoziale Einheit" von Mutter- <strong>und</strong> Elternschaft wird durch die<br />

moderne Fortpflanzungsmedizin technisch in ihre Komponenten aufgelöst,<br />

Voraussetzung für fast beliebige menschliche Brutprogramme (Grobstein<br />

u.a. 1983). Die Fortschritte, die hier in der Auseinandersetzung mit einer<br />

widrigen Natur gemacht werden, suspendieren eine Vielzahl sozialer Orientierungen<br />

<strong>und</strong> Handlungsmuster bei allen Beteiligten: von den Eltern über<br />

Forscher <strong>und</strong> Ärzte, Rechtsanwälte, Richter, Gesetzgeber, Leihmütter <strong>und</strong><br />

Samenspender, bis zu den Kindern. Kulturell einigermaßen verbindliche<br />

affektiv-soziale Bezüge, institutionelle Regelungen <strong>und</strong> kognitive Orientierungen<br />

verlieren ihren Sinn <strong>und</strong> erfordern Ersatz (Benda 1984).<br />

Im Fall der Gentechnik käme man kaum auf die Idee, diese Prozesse<br />

seien technisch abschließbar, weder im Sinne einer abschließenden wissenschaftlich-technischen<br />

Kontrolle, etwa von Fortpflanzungsvorgängen, noch<br />

im Sinne einer widerstandslos hingenommenen sozialen <strong>und</strong> kulturellen<br />

Entleerung <strong>und</strong> Verödung. In der Gentechnik scheinen vielmehr schon in<br />

der Frühphase der Substitution relativ unkontrollierter organischer <strong>und</strong><br />

sozialer Prozesse eine Unzahl von neuen Widrigkeiten der Natur <strong>und</strong> sozialen<br />

Widerständigkeiten aufzutauchen. Entsprechend scheint diese Technologie<br />

schneller <strong>und</strong> auf breiterer Front neue Kontingenzen <strong>und</strong> Handlungsherausforderungen<br />

zu generieren als beispielsweise die Kerntechnik. Das gilt<br />

sowohl naturseitig, also im wissenschaftlich-ingenieurtechnischen „Zuständigkeitsbereich",<br />

als auch auf der Handlungsseite, also juristisch-gesetzgeberisch,<br />

politisch, ökonomisch, lebensweltlich — <strong>und</strong> damit im „Zuständigkeitsbereich"<br />

der Sozialwissenschaften.<br />

Diese wenigen Hinweise auf Inhalt <strong>und</strong> Richtung der Entwicklung in<br />

den drei Feldern müssen hier genügen. Mit der Vorstellung von natürlichen<br />

Substitutionsleistungen (Ablösung von natürlichen Kontingenzen) auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage konstruktiv-synthetisierend verfahrender Wissenschaften, von<br />

damit einhergehenden sozialen Substitutionsleistungen (Ablösung von<br />

sozialen Kontingenzen), von dadurch neu ins Spiel kommenden natürlichen<br />

wie sozialen Kontingenzen <strong>und</strong> entsprechenden neuen Handlungsanforderungen<br />

ist ein Technikbegriff umrissen, der sich, wie wir glauben, auf moderne<br />

wissenschaftlich-technische Entwicklungen ganz allgemein fruchtbar<br />

anwenden läßt.<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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