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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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verhalte gefaßt wird, deren Sozialität sich erst in den sozialen Folgewirkungen<br />

der Anwendung von Technik zeigt. Vielmehr gehen wir vom systemischen Charakter<br />

der Technik aus: Technik nicht als eine Ansammlung isolierter Artefakte, sondern<br />

als ein System von Leistungen <strong>und</strong> Beziehungen, das durch strategisch handelnde<br />

<strong>gesellschaftliche</strong> Akteure erzeugt <strong>und</strong> durch divergierende Orientierungskomplexe<br />

bestimmt wird.<br />

3 Angesichts der relativen Neuheit dieser Technologie scheint es angebracht zu betonen,<br />

daß es sich bei der Gentechnologie, ebensowenig wie bei der Kerntechnik <strong>und</strong><br />

bei der Mikroelektronik, nicht um eine wissenschaftliche Disziplin handelt, die<br />

durch einen geschlossenen Gegenstandsbereich definiert werden kann (wie z.B. die<br />

Molekulargenetik (molekulare Prozesse <strong>und</strong> Strukturen der Vererbung bei Organismen)).<br />

Gentechnologie ist vielmehr ein Verfahren: die Neuko<strong>mb</strong>ination von beliebigem<br />

genetischen Material im Reagenzglas, das sog. Genspleißen. Gegenwärtige Brisanz<br />

<strong>und</strong> Bedeutung liegen darin, daß mit ihrer Hilfe bestimmte phylogenetische<br />

<strong>und</strong> ontogenetische Barrieren der Verfügbarkeit von Organismen überw<strong>und</strong>en werden<br />

können. „Playing God" ist die damit mögliche Konstruktion bzw. Rekonstruktion<br />

der genetischen Basis von Leben plastisch genannt worden. Will man diese<br />

Technik bewerten, muß deshalb die Gentechnologie immer im Zusammenhang mit<br />

den Phänomenbereichen betrachtet werden, die mit ihrer Hilfe beherrschbar gemacht<br />

werden sollen, z.B. im Zusammenhang mit der Weiter<strong>entwicklung</strong> herkömmlicher<br />

biotechnologischer Verfahren oder der Erweiterung humangenetischer<br />

Diagnostik oder der Korrektur befruchteter Eizellen in der „Kei<strong>mb</strong>ahntherapie".<br />

4 Wenn wir von Mythos sprechen, ist damit keine einfache Opposition von „Logos<br />

<strong>und</strong> Mythos" gemeint, etwa in dem Sinn, daß der rationalen Technik ein Alltagsmythos<br />

der Technik gegenübergestellt wird. Vielmehr wäre gerade die Verschränkung<br />

von Mythos <strong>und</strong> Vernunft aufzuzeigen. Dem Mythos selbst ist Vernunft nicht<br />

unverträglich, <strong>und</strong> die Vernunft kann selbst wieder mythisch werden. Die Komplexität<br />

dieses Verhältnisses läßt sich gerade an den technischen Mythen im Zusammenhang<br />

mit Kernenergie, Computer- <strong>und</strong> Gentechnik aufzeigen, beruhen sie doch<br />

zu einem guten Teil auf wissenschaftlichen Prognosen <strong>und</strong> diskursiven Strukturen,<br />

bei gleichzeitiger Überhöhung durch ganzheitlich-<strong>gesellschaftliche</strong> Deutungen der<br />

jeweiligen Technologien. (Zur Analyse des Mythos als semiologischem System vgl.<br />

sehr erhellend Barthes 1964: 85ff.).<br />

5 Wir erinnern an die Schlußfolgerung, die Max Weber aus seinen Analysen universeller<br />

Rationalisierungs- <strong>und</strong> Vergesellschaftungsprozesse als „Entzauberung der Welt"<br />

zieht: „Die alten vielen Götter, entzaubert <strong>und</strong> daher in Gestalt unpersönlicher<br />

Mächte, entsteigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben <strong>und</strong> beginnen<br />

miteinander wieder ihren ewigen Kampf" (1968: 610). Technische Mythen,<br />

obwohl es sich schon um rationalisierte Deutungsmuster handelt, haben den Charakter<br />

„unpersönlicher Mächte", die den Prozeß der Technisierung mitsteuern. Ob<br />

man hier von der Paradoxie des Rationalisierungsprozesses insgesamt sprechen<br />

kann, wie das Schluchter (1979) im Anschluß an Weber tut, mag dahingestellt<br />

bleiben.<br />

6 Der Charme der Mikroelektronik hat „linke" <strong>und</strong> „grüne" Gruppierungen in beeindruckender<br />

Weise in seinen Bann gezogen. Ein schönes Beispiel ist Andre Gorz'<br />

(1981) postindustrialistischer <strong>und</strong> antiproduktionistischer Sozialismus.<br />

7 „Dis-kursus: Das ist ursprünglich die Tätigkeit des Hin- <strong>und</strong> Herlaufens, das ist<br />

Kommen <strong>und</strong> Gehen, 'Machenschaften', 'Ränkeschmieden'..." (R. Barthes).<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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