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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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Retrospektive Analysen stehen in enger Beziehung mit den Möglichkeiten<br />

der Vorausschau. Schon hier muß man betonen, daß ich an einer<br />

echten Prognose zweifle, die von Soziologen oder Gesellschaftswissenschaftlern<br />

gestellt werden könnte. In dieser Hinsicht sind die großen Irrtümer großer<br />

Wissenschaftler allbekannt. Hinsichtlich der Zukunft der osteuropäischen<br />

Gesellschaften ist die Vorausschau der Klassiker des Marxismus meistens<br />

unbrauchbar. Dies hängt teilweise mit ihrer mangelnden Kohärenz <strong>und</strong> Einheit<br />

zusammen, was es z.B. ermöglicht, daß angesichts der Kritik an der<br />

Sowjetideologie <strong>und</strong> der jugoslawischen Selbstverwaltungsideologie die Vertreter<br />

beider Ideologien genügend klassische Zitate zur Verteidigung ihrer<br />

Vorstellung vom wahren Sozialismus gef<strong>und</strong>en haben.<br />

Die Klassiker des Marxismus setzten, wenn sie über die einheitliche nationale<br />

Wirtschaft oder über die Gesellschaft als Assoziation der freien Produzenten<br />

sprachen, voraus, daß der Sozialismus eine harmonische Gesellschaft<br />

sein werde, wo sich keine strukturellen Gegensätze entfalten werden.<br />

Diese Sozialismus-Vision der Klassiker des Marxismus läßt sich, in den Fakten<br />

des real existierenden Sozialismus, nicht wiederfinden.<br />

In dieser Hinsicht wurde ihre Vorausschau von der historischen Erfahrung<br />

nicht bestätigt. Die zwei charismatischen Führer, die zwischen<br />

zwei Weltkriegen an die Macht kamen, Stalin <strong>und</strong> Hitler, unterwarfen<br />

gleicherweise fast alle Bereiche des Privatlebens der Maschinerie der Bürokratie.<br />

Wenn ich skeptisch bin, was die Prognose betrifft, bedeutet dies nicht,<br />

daß ich es nicht als Aufgabe der Soziologie betrachte, sich mit der <strong>gesellschaftliche</strong>n<br />

Zukunft zu beschäftigen. Aber die Ergebnisse solcher Analysen<br />

sind kaum anders denn als die Vorlage einer Serie von alternativen Möglichkeiten<br />

vorstellbar.<br />

Die meisten unter den Soziologen, die eine retrospektive zusammenfassende<br />

Analyse fertiggestellt haben, versuchten auch immer schon die Zukunft<br />

zu bestimmen. Max Weber, der als Klassiker der verstehenden Soziologie<br />

zu betrachten ist, beschäftigte sich z.B. stets mit der zukünftigen Entwicklung<br />

der Gesellschaft. Er stellt nicht nur das Heranwachsen der Bürokratie<br />

in den modernen Gesellschaften fest, sondern sucht nach einem Ausweg,<br />

man könnte sagen, nach einer Ausflucht, um die Gesellschaft von der<br />

bürokratischen Macht befreien zu können.<br />

Was die Zukunft der osteuropäischen Gesellschaften betrifft, so entwerfen<br />

die drei vorher erwähnten soziologischen Richtungen auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

ihrer eigenen retrospektiven Analysen voneinander abweichende Zukunftsbilder,<br />

von denen ein jedes als ein alternatives Zukunftsbild mit mehr oder<br />

weniger Chance zu betrachten ist.<br />

Im Mittelpunkt des Zukunftsbildes der apologetischen Soziologie steht<br />

die Modernisierung des monolithischen Systems, was bedeutet, daß diese<br />

Richtung die Pluralisierung der <strong>gesellschaftliche</strong>n Beziehungen ablehnt <strong>und</strong><br />

die bürgerliche Gesellschaft im engen Rahmen der monolithischen Gesellschaft<br />

halten will.<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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