07.03.2014 Aufrufe

soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ei Schumpeter vorgebildet ist, daß die entscheidenden Problemlagen des<br />

Kapitalismus nicht seiner inneren Schwäche, sondern seiner ungebrochenen,<br />

alles durchdringenden Stärke entspringen. In dieser Perspektive leiden die<br />

fortgeschrittenen kapitalistischen Länder an „Widersprüchen", die eben<br />

nicht aus ihrer Schwäche, sondern aus ihrer Stärke entstehen (vgl. Hirschmann<br />

1982, S. 678). In der gewandelten Sichtweise generiert ein kapitalistisches<br />

System Probleme primär durch seine Funktionstüchtigkeit <strong>und</strong> Zielerreichung,<br />

nicht durch Funktionsdefizite; kurz: durch Wachstum <strong>und</strong><br />

nicht durch Wachstumsstörungen.<br />

Eine solche Änderung der Blickrichtung der Krisenanalyse fußt auf Annahmen<br />

darüber, was in der „great transformation" prinzipiell passiert ist.<br />

Ich hatte argumentiert, daß der Kern der Entwicklung in einem Freisetzungs-<br />

<strong>und</strong> Verselbständigungsprozeß besteht. Das Resultat dieser Entwicklung<br />

ist in der ökonomischen Anthropologie mit dem Begriff der „dise<strong>mb</strong>eddedness"<br />

zusammengefaßt worden. Nur ein solcher Art freigesetztes,<br />

aus der Einbettung in vorgef<strong>und</strong>ene Strukturen herausgelöstes System vermag<br />

die Energien zu mobilisieren, alles Vorgef<strong>und</strong>ene, seien dies ältere<br />

Gemeinschaftsformen, Lebenswelten, Weltbilder, die natürliche Umwelt<br />

etc. zu durchdringen <strong>und</strong> aufzulösen.<br />

Mit dieser Änderung der Blickrichtung auf die Folgewirkungen der Umstellung<br />

der Wirtschaft auf „Eigengesetzlichkeit" sind aber die Problemlagen<br />

eines Vergesellschaftungsmodus, der, wie Marx sagt, „nicht irgendetwas<br />

Gewordenes zu bleiben sucht, sondern in der absoluten Bewegung des Werdens<br />

ist" (Marx 1953, S. 387) selbst nocht nicht benannt. Wie läßt sich begründen,<br />

daß ein Vergesellschaftungsmodus, der auf Freisetzung beruht,<br />

selbst-destruktive Tendenzen enthält?<br />

Wie Breuer (1983) gemeint hat, mündet ein System der reinen Vergesellschaftung,<br />

das keinen „vorhergegebenen Maßstab" (Marx, a.a.O.) mehr<br />

anerkennt, in letzter Konsequenz in der von Nietzsche prognostizierten<br />

„Entwertung aller Werte", dem Nihilismus. Unter Nihilismus soll dabei<br />

nicht die Negation der Moral verstanden werden, sondern der Sachverhalt,<br />

daß in modernen Gesellschaften der Tendenz nach alles kontingent gesetzt<br />

wird; feste Gr<strong>und</strong>lagen existieren nicht mehr als unverrückbare Vorgegebenheiten,<br />

sondern nur noch als „Setzungen" . „Alles Ständische <strong>und</strong> Stehende<br />

verdampft, alles Heilige wird entweiht, <strong>und</strong> die Menschen sind endlich<br />

2<br />

gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen<br />

Augen anzusehen" — so heißt es schon im „Kommunistischen Manifest".<br />

Theoretisch reflektiert ist diese Tendenz der <strong>gesellschaftliche</strong>n Entwicklung<br />

in Luhmannns Systemtheorie. Das Bewegliche gründet in ihr nicht<br />

auf dem Festen, sondern alles Feste auf dem Beweglichen, weil alles Gesellschaftliche<br />

eine „jederzeit änderbare Selektionsleistung aus stets präsent<br />

bleibenden Möglichkeiten" darstellt (vgl. Breuer 1983, S. 601 mit Bezug<br />

auf Luhmann 1972, S. 190). Die Sehnsucht nach der „Rückkehr zum<br />

menschlichen Maß" (so Schumacher) mutet von daher an wie eine hilflose<br />

Gebärde. „In einer Welt", so schließt Breuers Buch folgerichtig, „ in der<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!