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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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großen Zahl empirischer Fälle, soweit ich sehen kann, nur äußerst selten<br />

beobachten. Häufiger sind terroristische Aktionen für die politische Bewegung,<br />

der sie voranhelfen sollten, kontraproduktiv gewesen. Um das zu begreifen,<br />

ist davon auszugehen, daß der Ausgang der Kämpfe nicht nur,<br />

wahrscheinlich nicht einmal in erster Linie, von den Legitimitätsproblemen<br />

des vorhandenen politischen Systems bestimmt ist, sondern auch, vielleicht<br />

mehr noch, von den davon unabhängigen Legitimitätsproblemen des Terrorismus<br />

selber.<br />

Das Ausmaß der Rechtfertigungsschuld, die den Terrorismus zuerst<br />

einmal in eine moralische Defensive bringt, ist in elementarster Weise kulturell<br />

bestimmt, nämlich abhängig davon, in welchem Maße sich Gewalttabus<br />

allgemein durchgesetzt haben. Sind diese mit der Zivilisationsgeschichte<br />

von Gesellschaften in der Bevölkerung verinnerlicht worden, dann löst<br />

ihre Verletzung peinliche Begründungszwänge aus. Um diese zu lösen, reicht<br />

es wahrscheinlich nicht aus, daß es der terroristischen Theorie gelingt, die<br />

Kritik an dem bestehenden System zu dramatisieren, wenn sie nicht gleichzeitig<br />

überzeugende Bilder eines machbaren besseren Lebens entwerfen<br />

kann. Es geht hierbei um Utopie. Besitzt sie die Qualität, Nachfolge zu mobilisieren?<br />

Dies dürfte nicht nur von ihrer sozialen Validität abhängen, d.h.<br />

davon, in welchem Maße sie die in einer Gesellschaft tatsächlich vorhandenen<br />

Überschüsse an Wünschen <strong>und</strong> Träumen authentisch aufgenommen <strong>und</strong><br />

verarbeitet hat; sondern auch von dem, was man Utopiequantum nennen<br />

könnte, dem Ausmaß nämlich, in dem das als ideal Vorgestellte den Status<br />

quo übersteigt. Der soziale Effekt dieser Größe läßt sich mit dem aus der<br />

Motivationspsychologie bekannten Gesetz der „dosierten Diskrepanz"<br />

(H. Heckhausen) kalkulieren. Ein zu geringes Utopiequantum rechtfertigt<br />

nicht den Aufwand des Kampfes, ein zu großes schreckt ab, weil es ins<br />

Unvorstellbare verschwimmt <strong>und</strong> als nicht einlösbar erscheint. Terroristische<br />

Gruppierungen unterscheiden sich in dieser Hinsicht folgenreich. Wahrscheinlich<br />

operiert der Terrorismus separatistischer Bewegungen — siehe die<br />

baskische ETA oder die nordirische IRA (Waldmann 1984) — deshalb relativ<br />

erfolgreich, weil ihr Ideal, nämlich Autonomie, gleichzeitig stimulierend<br />

<strong>und</strong> faßbar ist. Sozialrevolutionäre Umsturzbewegungen sind in dieser Hinsicht<br />

in der Regel ehrgeiziger <strong>und</strong> überfordernder. Alles soll anders werden.<br />

Auch die Terroristen dieser Idee können Bew<strong>und</strong>erung auslösen. Ihr bewaffneter<br />

Kampf fasziniert wegen seiner heroischen Konsequenz. Aber<br />

Heroismus ist kein generalisierbares Handlungsmuster. Diese Terroristen<br />

geraten deshalb häufig in die absurde Lage einer Avantgarde von nichts.<br />

Wahrscheinlicher als Nachfolge ist unter den genannten Bedingungen<br />

eine Gegenbewegung für „law and order". Wenn sich terroristische Gewalt<br />

nicht als gleichzeitig notwendige <strong>und</strong> produktive Gegengewalt rechtfertigen<br />

kann, befördert sie eher eine Ritualisierung des Status quo. Man weiß, was<br />

man hat. Und wer wenigstens dies garantiert, erhält im Notfall Rückendekkung.<br />

Zu diesem Reaktionsmuster ist einschlägig, was Heinrich Popitz über<br />

den „Ordnungswert der Ordnung als Basislegitimität" geschrieben hat<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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