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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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zur Erklärung kollektiver Phänomene nicht nur Einsicht in Handlungsverflechtungen<br />

<strong>und</strong> -summierungen, sondern auch in die Genese von spezifischen<br />

Handlungsweisen nötig ist. Tatsächlich werden wir nicht nur durch<br />

unerwartete Ergebnisse kollektiven Handelns, sondern oft auch durch dieses<br />

Handeln selbst überrascht, ob es dabei um das Investitionsverhalten von<br />

Firmen, den plötzlichen Vandalismus von Jugendlichen oder den Umschwung<br />

in der Einstellung zur modernen Technik geht. Verführt vom normativen<br />

Paradigma auf der einen <strong>und</strong> der Survey-Forschung auf der anderen<br />

Seite, die Meinungen <strong>und</strong> Handlungsweisen gern mit demographischen <strong>und</strong><br />

sozio-ökonomischen Merkmalen von Individuen korreliert, verstehen wir<br />

oft zu wenig, wie Menschen in einem bestimmten biographischen Kontext<br />

auf spezifische Situationen reagieren bzw. in ihnen agieren. Dabei hat sich<br />

ein auf die Beschaffenheit der Handlungssituation abstellender Erklärungsansatz<br />

hier <strong>und</strong> da schon hervorragend bewährt, so z.B. bei der Erforschung<br />

abweichenden Verhaltens , sozialer Bewegungen oder auch der Informationsnutzung.<br />

Ein adäquates Verständnis sozialer Dynamik verlangt also<br />

32<br />

30 31<br />

nicht nur eine Struktur-<strong>und</strong>-Prozeß-Theorie auf der Makroebene, sondern<br />

auch die systematische Integration der Lebensweltperspektive, allerdings<br />

nicht, wie das Randall Collins will , um Makrophänomene mikrosoziologisch<br />

aufzulösen, sondern ganz im Gegenteil, um sie als ihren Bestimmungs-<br />

3 3<br />

gr<strong>und</strong> zu sehen. Eine solche Forderung mag alte Berührungsängste der Soziologie<br />

gegenüber der Psychologie wachrufen. Wir sollten uns dadurch aber<br />

nicht zur Blindheit gegenüber der Tatsache verleiten lassen, daß es nicht selten<br />

unsere grob vereinfachten anthropologischen Prämissen gewesen sind,<br />

die zu Fehlprognosen <strong>und</strong> Fehlinterpretationen kollektiver Phänomene geführt<br />

haben. Unser Verständnis von Vorgängen wie z.B. dem in der Implementationsforschung<br />

oft beobachteten Auftreten von massiertem Wi­<br />

34<br />

derstand <strong>und</strong> Verweigerung, wo infolge regulierender Interventionen wachsende<br />

Konformität erwartet wurde, wäre etwa bei Berücksichtigung der<br />

psychologischen Reactance-Theorie von vornherein besser gewesen; dasselbe<br />

gilt für die soziologische Erforschung komplexer Entscheidungsprozes-<br />

<strong>35</strong><br />

se <strong>und</strong> die neuere kognitive Psychologie. 36<br />

Ko<strong>mb</strong>iniert man die theoretischen Ansätze von Elias, Boudon <strong>und</strong><br />

Crozier, dann zeichnen sich die Konturen eines analytischen Paradigmas<br />

ab, das sich speziell für die Erklärung dynamischer Vorgänge in hochkomplexen<br />

sozialen Systemen eignet. Dabei geht es im Kern darum, Systemprozesse<br />

nicht nur in ihrer strukturverändernden Wirkung, sondern auch<br />

als Folge bestimmter struktureller Konfigurationen <strong>und</strong> der in ihnen beschlossenen<br />

Abhängigkeitsbeziehungen zu begreifen. Der strukturelle Kontext<br />

beeinflußt dabei einerseits das konkrete Handeln von Individuen, bestimmt<br />

aber gleichzeitig die Aggregateffekte, Nebenwirkungen usw. dieses<br />

Handelns. Es geht also darum, gleichzeitig <strong>und</strong> gleichgewichtig Struktur<br />

<strong>und</strong> Dynamik, Handeln <strong>und</strong> System miteinander zu verknüpfen, <strong>und</strong><br />

37<br />

zwar dergestalt, daß die dynamischen Konsequenzen von Strukturen<br />

über das Handeln von Individuen, die Rückwirkung dynamischer Vor-<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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