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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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weiter zunehmenden Einflußwirkung des Bildungssystems auf die Wert<strong>entwicklung</strong><br />

zu rechnen.<br />

Die „interagierenden", den Wertwandel auslösenden (oder auch abstoppenden)<br />

<strong>gesellschaftliche</strong>n Außenbedingungen entziehen sich aber nun —<br />

zumindest im Bereich mittelfristiger Zukunft — dem auf Berechenbarkeit<br />

abstellenden prognostischen Zugriff. So wie die Dinge gegenwärtig <strong>und</strong> auf<br />

absehbare Zeit liegen, scheinen sich diese Bedingungen in einer schwankenden<br />

Verfassung zu befinden, in der eine Art „Konjunkturverlauf" auszumachen<br />

ist, der mit dem wirtschaftlichen Konjunkturverlauf aber keineswegs<br />

voll identisch ist, wenngleich er mit ihm in Beziehung steht. Für die Wertsphäre<br />

bedeutet dies einen Zuwachs an Instabilität <strong>und</strong> Widersprüchlichkeit,<br />

wobei insbesondere in denjenigen Phasen, in denen die Selbstentfaltungswerte<br />

Aufschwünge erleben, heftig aufflammende <strong>gesellschaftliche</strong> Konflikte<br />

erwartbar sind.<br />

Diese Vorhersage gilt nun aber nur unter der einen Bedingung, daß das<br />

gegenwärtige, ins Institutionelle verlängerte Spannungsverhältnis zwischen<br />

den Pflicht- <strong>und</strong> Akzeptanzwerten <strong>und</strong> den Selbstentfaltungswerten weiter<br />

anhält. Es muß mit Nachdruck betont werden, daß hierfür allerdings kein<br />

zwingender Gr<strong>und</strong> besteht. Synthesen zwischen den Wertpolen des Selbstzwangs<br />

<strong>und</strong> der Selbstkontrolle auf der einen <strong>und</strong> der Triebauslebung <strong>und</strong><br />

Selbstaktualisierung auf der anderen Seite waren in der Geschichte aller Gesellschaften<br />

immer wieder zu finden. Die Syntheseaufgabe stellt sich heute<br />

unter der Bedingung ausdifferenzierter <strong>und</strong> gegeneinander weitgehend autonomer<br />

<strong>gesellschaftliche</strong>r Subsysteme <strong>und</strong> einer historisch erstmaligen<br />

„Entlastung" des Menschen von Fremdzwängen aufgr<strong>und</strong> von Herrschaftszugriffen<br />

<strong>und</strong> Notlagen.<br />

Die Lösung dieser Aufgabe ist nur auf gesamt<strong>gesellschaftliche</strong>r Gr<strong>und</strong>lage<br />

möglich. Weiterentwickelte Formen der Arbeit spielen hier ebenso eine<br />

Rolle wie Fragen einer neuen Ethik <strong>und</strong> einer verbesserten Gesellschaftsorganisation.<br />

Der Bildung, die in alledem bisher als eine blinde Gewalt mitwirkt,<br />

stellt sich in erster Linie die Aufgabe, „sehend" zu werden <strong>und</strong> das,<br />

was sie dann erkennt, ihrer Natur gemäß zu vermitteln. Hiermit ist nicht in<br />

erster Linie Normatives gemeint. Hellsichtigen Gesellschaftsanalysen zufolge<br />

kommt es unter den Bedingungen hochgradiger <strong>gesellschaftliche</strong>r Komplexität<br />

in besonderem Maße auf „reflektierendes Bewußtsein" an. Auf<br />

30<br />

die Bildung bezogen muß dies in erster Linie heißen: Reflexion der nichtintentionalen<br />

Wirkungen der Bildung selbst im Gesamtzusammenhang der<br />

Persönlichkeits- <strong>und</strong> Gesellschafts<strong>entwicklung</strong>. Lassen Sie mich mit der<br />

These enden, daß die Bildung nur dann, wenn sie diese Schwelle bewältigt,<br />

hoffen kann, ihren substantiellen Anspruch unter den Bedingungen der<br />

heutigen Welt einzulösen.<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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