07.03.2014 Aufrufe

soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

empirische Unerfahrbarkeit seiner Zukunft muß er, um handeln zu können,<br />

einplanen. Er muß sie, ob zutreffend oder nicht, voraussehen. Mit diesem<br />

Paradox sind wir im Zentrum unserer Fragestellung.<br />

Was sieht der Mensch voraus, was kann er voraussehen? Die kommende<br />

Wirklichkeit — oder nur Möglichkeiten? Eine Möglichkeit, mehrere oder<br />

viele? Ist die Voraussicht geleitet von Furcht oder von Vernunft oder, mit<br />

Hobbes zu sprechen, von beiden zugleich? Ist sie geführt vom Glauben an<br />

eine Prophetie oder abgesichert durch den Rückgriff auf eine geschichtsphilosophisch<br />

begründete Notwendigkeit oder gespeist aus Kritik oder<br />

Skepsis? Ist sie an Vorzeichen mantischer oder magischer Art geb<strong>und</strong>en<br />

oder an ein Zeichensystem geschichtlicher Deutungen oder an die Versuche<br />

wissenschaftlicher Analysen?<br />

Die historischen Antworten lassen sich nun eingrenzen, wenn man die<br />

Voraussagen auf einige Gr<strong>und</strong>typen zurückführt, die sich im Laufe der Geschichte,<br />

einander überholend, aber auch überlappend, aufweisen lassen.<br />

Außerdem lassen sich die Antworten reduzieren, wenn nur nach den Voraussetzungen<br />

gefragt wird, wann <strong>und</strong> warum welche Prognosen eingetroffen<br />

sind oder nicht. Mit dieser letzten Frage werde ich mich im folgenden<br />

beschäftigen <strong>und</strong> dabei einer groben Typologie nicht entraten können.<br />

Bei der Fülle eingetroffener <strong>und</strong> bei der ebenso großen, vielleicht größeren<br />

Fülle nicht eingetroffener <strong>und</strong> deshalb vergessener Prognosen, läßt<br />

sich eine Alternative denken. Entweder handelte es sich um ein reines<br />

Glücks- oder Zufallsspiel, warum eine Prognose sich bewahrheitet hat <strong>und</strong> eine<br />

andere nicht. Oder es lassen sich Kriterien finden; warum die eine Prognose<br />

eher eingetroffen ist als die andere, warum die eine sich hat verifizieren<br />

lassen, die andere nicht. Ich werde versuchen, einige Kriterien aus Beispielen<br />

politischer Prognosen zu entwickeln.<br />

Sieht man von jeder historischen Erfahrung ab, so läßt sich sagen, entweder<br />

ist die Zukunft völlig unbekannt — dann ist jede Prognose ein Würfelspiel<br />

des Zufalls. Oder es gibt, <strong>und</strong> dafür spricht die historische Erfahrung,<br />

Grade der größeren oder geringeren Wahrscheinlichkeit, mit der die kommende<br />

Wirklichkeit vorausgesehen werden kann. Es gibt Bündel von Möglichkeiten,<br />

die einzeln oder zusammengenommen verschiedene Chancen<br />

ihrer Verwirklichung indizieren: Dann muß es auch eine Kunst der Prognose<br />

geben, die wenigstens minimale Regeln ihres Gelingens enthält.<br />

Rein formal läßt sich folgende Regel aufstellen: Die Skala der Zukunftsaussagen<br />

reicht von absolut sicheren Prognosen zu solchen höchst unwahrscheinlichen<br />

Inhalts. So muß es als absolut sicher gelten, daß unser Globus<br />

die Katastrophe überdauert, die ein Atomkrieg für die ganze Menschheit<br />

herbeiführen kann. Andererseits ist es völlig unsicher, ob eine atomare Katastrophe<br />

durch Zufall, durch Versehen oder durch Absicht herbeigeführt<br />

wird, oder ob sie gar verhindert werden kann. D.h., je weiter wir uns von<br />

langfristigen Daten naturaler Vorgegebenheiten entfernen <strong>und</strong> unsere Voraussagen<br />

auf politische Entscheidungssituationen konzentrieren, desto<br />

schwieriger wird die Kunst der Prognose. Der tastende Lichtstrahl suchen-<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!