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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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druck zuerst der durchzusetzenden, später der zu verteidigenden Interessen<br />

des Bürgertums — meist in Verbindung mit dem aufkommenden Nationalismus.<br />

Später artikulierten sich die Hoffnungen des Proletariats als sakrale<br />

Themen — auch sie häufig mit nationalistischen Untertönen. Elemente dieser<br />

Ideologien verschmolzen mit den vorherrschenden religiösen Themen<br />

christlichen Ursprungs oder nahmen ihren Platz ein. Diese Entwicklung<br />

trug dazu bei, die ohnehin schon bestehende Tendenz zum kulturellen Pluralismus<br />

zu verstärken, eine Tendenz, deren Ursprung schon in den die institutionelle<br />

Spezialisierung begleitenden Kompetenz- <strong>und</strong> Abgrenzungsstreitigkeiten<br />

zu finden ist.<br />

Die Themen, welche sich auf die verschiedenen Ebenen der Transzendenz<br />

beziehen <strong>und</strong> als Balken im Gerüst der Bewußtseinsorganisation dienen,<br />

sind deshalb in den modernen Industriegesellschaften sehr vielgestaltig.<br />

Es kommen nicht nur Themen vor, die aus dem traditionellen christlichen<br />

Anliegen an jenseitigen Transzendenzen entsprangen, sondern auch solche,<br />

deren Ursprung in diesseitigen Transzendenzadressaten wie Rasse, Nation,<br />

klassenlose Gesellschaft etc. zu suchen ist. Im großen <strong>und</strong> ganzen ist es den<br />

spezialisierten Institutionen (Kirchen <strong>und</strong> Sekten) gelungen, das Monopol<br />

über die traditionellen religiösen Themen beizubehalten. Aber schon seit<br />

mehreren Generationen ist der traditionelle heilige Kosmos nicht mehr die<br />

einzige transzendente sy<strong>mb</strong>olische Wirklichkeit, die breiten Schichten der<br />

Bevölkerung gesellschaftlich vermittelt wird. Die traditionelle, institutionell<br />

spezialisierte Religion konkurriert mit Nationalismus, egalitärem Sozialismus<br />

<strong>und</strong> verschiedenen totalitären Ideologien — mit mehr oder weniger<br />

Erfolg. Auf diese Weise haben sich die Bedingungen, unter denen Modelle<br />

der Bewußtseinsorganisation produziert <strong>und</strong> verteilt werden, gr<strong>und</strong>legend<br />

geändert.<br />

Die strukturelle Konsistenz der Weltsicht, deren Funktion es ist, den<br />

sakralen Kern der Wirklichkeitskonstruktion glaubhaft mit den Routinen<br />

des Alltags zu verbinden, ist verhältnismäßig gering. Weltsichten konkurrieren<br />

untereinander über Massenmedien, Bücher, Wanderprediger, Priester<br />

<strong>und</strong> Gurus aus allen Ecken der Welt, <strong>und</strong> ausdrücklich religiöse Orientierungen<br />

konkurrieren mit Sozialisationsmodellen, die keine spezifisch religiösen<br />

Repräsentationen, wohl aber Orientierungen zu diesseitigen Transzendenzen<br />

enthalten.<br />

Daß aber der kulturelle Pluralismus <strong>und</strong> ein insgesamt loser innerer Zusammenhang<br />

von nicht-totalitären Modellen der Bewußtseinsorganisationen<br />

zu beherrschenden <strong>und</strong> beinahe durchgängigen Merkmalen des modernen<br />

Lebens wurden, ist nicht das einzige Ergebnis des sozialen Wandels. Strukturelle<br />

Veränderungen bestimmen das Verhältnis des typischen „modernen"<br />

Individuums zur <strong>gesellschaftliche</strong>n Ordnung auf viel unmittelbarere<br />

Weise <strong>und</strong> beeinflussen damit die Bewußtseinsorganisation des einzelnen.<br />

Die Werte <strong>und</strong> Orientierungen, die über das unmittelbar Gegebene<br />

hinausgehen <strong>und</strong> auf das Transzendente gerichtet sind, werden natürlich<br />

allerorten in sozialen Prozessen vermittelt, angefangen mit der Primärsozia-<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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