07.03.2014 Aufrufe

soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

in Rechnung stellt. Ihre Struktur ist mehrschichtig. Die Diagnose beruht auf<br />

der anhaltenden Erfahrung der Katastrophe von 1914, um für den schwindenden<br />

Handlungsspielraum 1932 eine Alternative zu formulieren. Die Warnung<br />

vor der Wiederkehr des Weltkrieges evoziert eine Anweisung, ihn zu<br />

verhüten.<br />

Nun mag man die schlichte Alternative auf die Suggestionskraft von<br />

Churchills Rhetorik zurückführen, — er wird auch weitere Möglichkeiten<br />

im Hinterkopf gehabt haben. Die Katastrophe, die zu vermeiden Churchill<br />

politisch vorschlug, ist gemäß seiner Voraussage eingetroffen. Die Erfahrung<br />

des Kriegsausbruches von 1914 mit dem daraus abgeleiteten Analogieschluß<br />

hat ihn nicht getrogen. Aber bei Churchill handelt es sich nicht<br />

um eine lineare Hochrechnung unentrinnbarer Zukunft, sondern diese Hochrechnung<br />

setzte eine Bedingung möglicher Wiederholung, um in actu dagegen<br />

anzukämpfen. Die Richtigkeit der Prognose gründet also in der handlungsanleitenden<br />

Verwendung mehrerer geschichtlicher Tiefendimensionen,<br />

deren Ko<strong>mb</strong>ination die Treffsicherheit hervorgebracht hat.<br />

Unsere Fragestellung nach den geschichtlichen Zeitschichten ermöglicht<br />

es uns, die Prognostik aus dem Bezugsrahmen der reinen Anthropologie<br />

oder gar der Psychologie der jeweiligen Agenten herauszuführen. Nicht<br />

der rührende Optimismus eines Benesch, nicht die Autosuggestion von<br />

Hitler <strong>und</strong> auch nicht die phantasievolle Nüchternheit von Churchill liefern,<br />

uns den Schlüssel für die Richtigkeit oder Falschheit ihrer Voraussagen.<br />

Die objektivierbaren Kriterien liegen in der zeitlichen Tiefenstaffelung, die<br />

argumentativ für die Prognose herangezogen wurde.<br />

Es ist nicht nur die formale Wiederholbarkeit möglicher Geschichte,<br />

die ein Minimum an prognostischer Sicherheit garantiert, sondern es kommt<br />

ebenso darauf an, die Mehrschichtigkeit historischer Zeitverläufe einzukalkulieren.<br />

Deshalb möchte ich in einem zweiten Durchgang unsere Frage nach den<br />

verschiedenen Zeitschichten präzisieren. Theoretisch lassen sich drei Zeitebenen<br />

unterscheiden, die verschieden abrufbar sind, um Prognosen zu ermöglichen.<br />

Erstens gibt es die kurzfristige Sukzession des Vorher <strong>und</strong> Nachher, die<br />

unsere alltäglichen Handlungszwänge kennzeichnet. Immer situationsbezogen<br />

ändern sich die Voraussetzungen für die beteiligten Agenten in früher<br />

oder später erfahrbaren Fristen, in Jahren, Monaten, Wochen, St<strong>und</strong>en, ja<br />

sogar von Minute zu Minute. In diesem Zusammenhang ist es besonders<br />

schwierig, exakte Prognosen zu stellen, nicht zuletzt deshalb, weil niemals<br />

alle Reaktionen <strong>und</strong> Aktionen zugleich überblickt oder gar erkannt werden<br />

können. Es ist wie beim Schachspiel, wo erst nach einer bestimmten Summe<br />

von Zügen die Lage so weit geklärt ist, daß Prognosen mit großer, schließlich<br />

absoluter Treffsicherheit gestellt werden können.<br />

Zweitens gibt es die Ebene mittelfristiger Trends, von Geschehensabläufen,<br />

in die eine Fülle von Faktoren eingehen, die sich der Verfügung der jeweils<br />

Handelnden entziehen. Hier wirken die zahlreichen transpersonalen<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!