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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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zw. unbeabsichtigter kollektiver Folgen individuellen Handelns angeregt<br />

wurden. Alle genannten Autoren setzen sich ausdrücklich vom normativen<br />

Paradigma ab <strong>und</strong> wollen mit einer gewissen Emphase den menschlichen<br />

Aktor wieder in die soziologische Theorie zurückholen. Gemeinsam ist ihnen<br />

schließlich vor allem, daß sie sich für strukturelle Konfigurationen interessieren,<br />

die sowohl das Handeln selbst wie auch das — typischerweise<br />

unbeabsichtigte — Produkt dieses Handelns prägen.<br />

Am umfassendsten <strong>und</strong> vermutlich auch bekanntesten ist der Ansatz<br />

von Norbert Elias, der einerseits in seiner Zivilisationstheorie zeigt, wie<br />

strukturelle Bedingungen die menschlichen Handlungsorientierungen beeinflussen,<br />

in seiner Schrift „Was ist Soziologie" aber zugleich versucht, systematisch<br />

eine Morphologie von Verflechtungszusammenhängen zu begründen,<br />

die neben einer strukturellen auch eine historisch-dynamische Komponente<br />

haben. Die Art des Verflechtungszusammenhangs prägt dabei nicht<br />

nur das Handeln, sondern wirkt sich zugleich auf das kollektive Handlungsergebnis<br />

aus. Eine der von ihm hierzu formulierten Regeln besagt z.B., daß<br />

je zahlreicher die beteiligten Handelnden <strong>und</strong> je geringer die Machtunterschiede<br />

zwischen ihnen sind, das Ergebnis ihrer Interaktion um so weniger<br />

zur Realisierung der Ziele irgendeines der Handelnden führen wird. 25 Diese<br />

<strong>und</strong> ähnliche Regeln mögen relativ leer erscheinen; Elias' Analyse des Königsmechanismus,<br />

der wesentlich an der Entstehung absolutistischer Territorialstaaten<br />

beteiligt war, zeigt aber, welches Erklärungspotential seinem<br />

Ansatz im Prinzip innewohnt. 26<br />

Ähnliches gelingt Boudon am Beispiel der paradoxen Auswirkungen verbesserter<br />

Bildungschancen auf die soziale Ungleichheit. Boudon unterscheidet<br />

im übrigen systematisch zwischen normativ regulierten <strong>und</strong> durch<br />

27<br />

faktische Abhängigkeit gekennzeichneten Interdependenzsystemen <strong>und</strong><br />

konzentriert sich sodann auf die letzteren. Das ist insofern wichtig, als<br />

28<br />

es sehr häufig Abhängigkeitsbeziehungen genau dieser Art sind, die zu den<br />

uns überraschenden Ergebnissen <strong>gesellschaftliche</strong>r Eigendynamik führen.<br />

Typischerweise spielen dabei — oft vielgliedrige — Handlungsketten eine<br />

Rolle, in denen zwischen den Handlungsergebnissen von A <strong>und</strong> den Handlungsmöglichkeiten<br />

von B Abhängigkeiten bestehen, die als solche gar nicht<br />

beabsichtigt <strong>und</strong> auch nicht sozial normiert sind; derartige Abhängigkeitsbeziehungen<br />

können am Ende als Verstärkung, Bumerangeffekt oder Selffulfilling<br />

prophecy gleichsam zu ihrem Anfangspunkt zurückkehren oder<br />

sich auch, wie Wellenkreise im Wasser, immer weiter davon entfernen.<br />

Während Boudon sich zunächst vor allem für unerwartete Aggregateffekte<br />

<strong>und</strong> weniger für den Einfluß struktureller Konfigurationen auf das Handeln<br />

des Einzelnen interessierte , ist die Akzentuierung bei Crozier <strong>und</strong><br />

29<br />

Friedberg fast umgekehrt. Für sie ist die Handlungssituation sowohl für die<br />

Wahl unmittelbarer Handlungszwecke wie auch für die Wahl von Strategien<br />

entscheidend; sie bietet dem Aktor sozusagen einerseits mögliche Ziele für<br />

sein Handeln an <strong>und</strong> legt ihm andererseits nahe, welche Mittel er einsetzen<br />

kann. Diese handlungstheoretische Perspektive ist deshalb so wichtig, weil<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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