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soziologie und gesellschaftliche entwicklung (35 mb) - ISF München

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In einem klugen Aufsatz über „Die Strategie des Terrorismus" hat<br />

David Fromkin folgendes notiert: „Der Terrorismus kann nur siegreich sein,<br />

wenn man in der von den Terroristen gewollten Form reagiert... Wenn man<br />

es vorzieht, überhaupt nicht oder aber in einer anderen als von ihnen gewünschten<br />

Weise zu reagieren, wird es ihnen nicht gelingen, ihre Ziele<br />

zu erreichen. Die entscheidende Schwäche des Terrorismus besteht darin,<br />

daß seine Gegner die Wahl haben." (Fromkin 1977, S. 97 f.). Haben, so<br />

kann man dagegen fragen, seine Gegner wirklich die Wahl? Können sie<br />

sich etwa leisten, gar nicht zu reagieren?<br />

Man darf die Provokation des Terrorismus nicht mit dem Argument<br />

unterschätzen, daß sein Angriff materiell relativ unerheblich ist <strong>und</strong> weder<br />

die Produktionsbasis einer Gesellschaft noch deren „human resources"<br />

ernsthaft verletzt. Die Provokation der Terroristen liegt nicht in den kriminellen<br />

Aktionen, die sie begehen, sondern in den sogen. Bekennerbriefen,<br />

die sie dazu schreiben. Ihr Angriff reizt vor allem durch seine Sy<strong>mb</strong>olik.<br />

Dies wird unterstützt durch die Auswahl der Angriffsobjekte: Amerikahaus<br />

<strong>und</strong> jüdischer Friedhof, Schleyer <strong>und</strong> Buback, Polizisten <strong>und</strong> Türken — das<br />

sind im Einzelfall auswechselbare Repräsentanten von Sinnzusammenhängen<br />

<strong>und</strong> Sachverhalten, die hinter ihnen stehen. Und diese unter Einsatz<br />

von Gewalt nicht nur tatsächlich zu verletzen, sondern dafür auch Rechtmäßigkeit<br />

zu beanspruchen, beeinträchtigt nicht in erster Linie <strong>und</strong> unmittelbar<br />

das Gewaltmonopol des Staates, sondern den Mythos, den dieses<br />

Privileg offensichtlich braucht, um intakt zu bleiben.<br />

Die Soziologie wird solche Zusammenhänge nicht angemessen begreifen,<br />

wenn sie die kulturellen Dimensionen <strong>gesellschaftliche</strong>r Prozesse nicht<br />

ernsthaft <strong>und</strong> systematisch bedenkt. Gesellschaften sind neben allem anderen<br />

Sy<strong>mb</strong>olgemeinschaften, die sich über Mythen <strong>und</strong> Tabus ebenso steuern<br />

wie über Geld <strong>und</strong> Macht. Deshalb gibt es auch gegenüber Kollektiven so<br />

etwas wie Beleidigung, Ehrverletzung <strong>und</strong> Schuld; unser Strafgesetzbuch<br />

spricht in seinen §§ 96 <strong>und</strong> 97 sicherlich nicht gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> folgenlos von<br />

„Beschimpfung der B<strong>und</strong>esrepublik" <strong>und</strong> „Verunglimpfung von Organen".<br />

Wir Soziologen haben zu wenig kategoriale Sensibilität gegenüber diesen<br />

Dimensionen entwickelt, <strong>und</strong> deshalb sind in der Soziologie des Terrorismus<br />

die <strong>gesellschaftliche</strong>n Reaktionen auf Terrorismus weithin unbegriffen<br />

geblieben; verschwörungstheoretische Konstruktionen haben für Scheinerklärungen<br />

gesorgt.<br />

Natürlich kann man sich vorstellen, daß sich Gesellschaften gegen den<br />

Terrorismus durch konsequente Verdrängung immunisieren, also ihn gar<br />

nicht zur Kenntnis nehmen; dann wäre in der Tat seine Wirkung harmlos.<br />

Gegen diese Möglichkeit spricht allerdings ein Sachverhalt, der zumindest in<br />

liberal-demokratischen Gesellschaften mit hoher Eigendynamik Realitäten<br />

eigener Art schafft, nämlich die Existenz der Massenmedien. Da Terrorismus<br />

einen außerordentlichen Unterhaltungswert besitzt, ist er aus der Massenkommunikation<br />

gar nicht herauszuhalten. Massenmedien sind deshalb allemal<br />

sehr wirkungsvolle Unterstützer terroristischer Strategie, werden von<br />

Lutz (1984): Soziologie <strong>und</strong> <strong>gesellschaftliche</strong> Entwicklung.<br />

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-100776

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